Oberhausen. Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen wird ein Vierteljahrhundert alt – und feiert das mit feinstem Porzellan. Eine staunenswerte Ausstellung.
Die allermeisten Schmuckstücke dieser Ausstellung sind von Glaskästen eingehüllt, so kann man ihnen nicht zu nahe kommen. Aber eigentlich kann man ihnen nicht nahe genug kommen. Wer eine Lupe dabeihätte, würde sich nur allzuschnell in den Augenaufschlag der Galanteriewarenhändlerin verlieben. Oder aus dem Staunen nicht mehr rauskommen über die Scheren, Ketten und Brillen in ihrem aufgeklappten Verkaufskästchen. Denn der Kopf der Dame ist nicht einmal daumennagelgroß, aus feinstem Porzellan. Und ihre Galanteriewaren sind genauso aufgemalt wie die Hummerzangen beim Krebs-Verkäufer.
Ja, Porzellan. Man kann sich die Interessen-Spanne des Kunstsammlerpaars Peter und Irene Ludwig gar nicht breit genug vorstellen. Kunst aus dem Amerika vor Kolumbus hier und Andy Warhol dort, DDR-Malerei und mittelalterliche Schnitzwerke, Picasso und – eben Porzellan. Diese Seite der mit Schokoladenprofit finanzierten Mega-Sammlung, die heute normalerweise in Bamberg zu Hause ist, zeigt nun ab Sonntag die Ludwiggalerie in Oberhausen.
Aus Zucker-Tafelaufsätzen wurde im Rokoko Porzellan
Es ist eine kleine Jubiläumsschau, denn das Museum im Schloss Oberhausen gibt es nun schon 25 Jahre. Vielen mag es angesichts der Fülle von Ausstellungen, die hier seit 1998 zu sehen waren, vorkommen, als sei es schon immer dagewesen. Wenn man bedenkt, dass hier um ein Haar ein Spielcasino eingerichtet worden wäre…
Christine Vogt, die das Profil des Hauses – Fotografie, Pop-Art, Comic und Karikatur – in den vergangenen 15 Jahren mit kluger Hand und Revier-Gespür geschärft hat, hat mit der Porzellan-Schau eine Art Festbankett angerichtet. Denn genau dazu dienten die Figuren im repräsentationsverrückten 18. Jahrhundert. Diese Tafel-Aufsätze bestanden an höfischen und adeligen übrigens zunächst aus Teig, Marzipan oder dem immer noch sündhaft teuren Zucker. Ob dieser Nachtisch-Schmuck bei den rauschenden Festen der oberen Zehntausend immer übrig blieb, weil das Bankett zuvor so üppig war – oder eine frühe Form von Recycling-Denken um sich griff: Irgendwann war der Nachtisch aus Porzellan (oder Keramik oder Fayence, je nachdem, welche Art von Ton zur Verfügung stand). Und der Tisch wurde zur Bühne, wie Christine Voigt im Katalog schreibt.
Fein ziselierte Dekolletés, gestreifte Hosen
Musiker, zuweilen sogar eine Affenkapelle, Fischer, Bänkelsänger Soldaten oder auch ein Quacksalber mit Tinkturen und Wunder-Tüchlein: Die Tischfiguren hatten meist einen klar erkennbaren Beruf. Der konnte oft gar nicht ländlich genug sein, denn der Adel fantasierte sich allzu gern in eine Idylle, die mit der wirklichen Bauern-Welt voller Dreck und Arbeit nicht viel zu tun hatte: Die Fürsten und Grafen, Prinzessinnen und Mätressen träumten sich darin frei von den Zwängen des höfischen Protokolls. Und suchten in der Schlichtheit nicht selten die Freizügigkeit, die beliebtesten Figuren waren Schäfer und Schäferin, die sich zu dem trafen, was bis heute als Schäferstündchen bekannt ist.
So haben die Porzellanfrauen alle ansehnliche Dekolletés, die Männer tragen höfische Kniehosen der neusten Mode, und wenn sie gestreift sind, kommt die bewundernswerte Kunstfertigkeit der Porzellan-Former und -Maler, die mit riesigen Lupen gearbeitet haben müssen, erst recht zur Geltung. Die fotografischen Vergrößerungen von Thomas Wolf in der Ausstellung verdoppeln das Staunen darüber.
„#MeToo“ im Rokoko und dicke Bauernnasen
Es gibt sogar eine Wirtshaus-Szene mit einer versuchten Vergewaltigung, „#MeToo“ im Rokoko. Aber selbst das diente, wie das Mädchen mit dem Butterfass, der Unterhaltung zu Tisch – man hatte sofort ein Gesprächsthema und machte sich nicht selten lustig über die dicken Nasen der Bauern oder den etwas scheelen Blick der Brotverkäuferin. Nicht zuletzt sollte sich die Tischgesellschaft ja als etwas Besseres fühlen. Nur gut, dass Peter und Irene Ludwig diese Schätze für die Allgemeinheit zugänglich gemacht haben.