Köln. Roger Waters ruft 11.000 Fans in Köln zum Widerstand auf. Gegen dies und jenes. Bevor die Parolen völlig öde werden, kriegt er noch die Kurve.

Welch ein seelenvoller, friedvoll-fröhlicher Abschluss nach einem dreistündigen Rundum-sorgenvoll-Paket: Die Band mit Roger Waters an der Spitze zieht aus der Halle wie die Prozessionskapelle für eine Love-and-Peace-Demo. Er widmet den Song sehr liebevoll Bob Dylan, seinem 2022 gestorbenem älteren Bruder John und seiner Frau Camilla. Der alte Pink-Floyd-Haudegen versteht einfach etwas von Dramaturgie. 11.000 in der Halle sind bewegt, versöhnt, beseelt. Das Saallicht geht an, eine Dreiviertelstunde vor Mitternacht erwartet niemand mehr eine Zugabe. Man müsste sonst auch Sorge haben, dass es noch mehr schlichte, großenteils unabweisbar wahre Polit-Parolen geben würde.

Das Schwein trägt keinen Davidstern, aber den Namen einer israelischen Rüstungsfirma

Abraham Lehrer (vorne), Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Köln, spaich bei einer Kundgebung gegen Konzert von Roger Waters in Köln.
Abraham Lehrer (vorne), Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Köln, spaich bei einer Kundgebung gegen Konzert von Roger Waters in Köln. © dpa | Oliver Berg

Denn mit denen plakatiert Roger Waters seine „This Is No Drill“-Show über und über. Dem Antisemitismus-Vorwurf geht er aus dem Weg, das berüchtigte Schwein (inspiriert vom legendären „Animals“-Album), das früher mal unter anderem einen Davidstern trug, fliegt im Kreis über den Köpfen der Fans, mit Sätzen wie „Stehle von den Armen. Gib den Reichen“. Dazu die Namen eines US- Rüstungskonzerns und eines israelischen.

Antisemitismus? Auf der LED-Wand triumphiert Waters, das Verwaltungsgericht in Frankfurt habe geurteilt, er sei kein Antisemit. Das ist nicht ganz richtig. Es hat über die Gültigkeit des Veranstaltungsvertrags entschieden. Man könne einzelne Show-Elemente als „geschmacklos“ bezeichnen, befand das Gericht, aber sie enthalte keine Nazi-Propaganda. Keine Volksverhetzung. Erst die wäre strafbar und ein Verbots-Grund. Aber immerhin: „Ich verurteile Antisemitismus auf das Schärfste“. Kein Lippen-, aber ein LED-Bekenntnis. Waters bedankt sich zudem bei den „jungen Menschen“, die vor der Halle vier Palästina-Fahnen geschwenkt haben. Dass da ein anderes Häuflein hingegen „Befreit Palästina von der Hamas“ forderte, hat er wohl nicht gesehen.

Roger Waters’ Show beginnt mit leichter Verspätung: Es gab sorgfältige Einlasskontrollen

Die Show beginnt mit Donnergrollen, wie gehabt. Und 20 Minuten zu spät. Aber hey, früher haben wir locker mal eine Stunde auf unsere Stars gewartet. Heute waren allerdings die Einlasskontrollen gründlicher als sonst, die Schlangen wanden sich um die Arena. Aber ganz ausverkauft ist die Halle nicht. Die teuersten Sitzplätze unten vor der Bühne sind so gut wie komplett besetzt. Und die Jahrgänge 1955-70 sind hier klar in der Mehrheit, manche haben auch ihren Nachwuchs mitgebracht. Eltern-Kind-Tour halt. Für die einen: eine Reise in die Jugend. Für die anderen: Die in eine exotische Antike.

Wer Pink-Floyd-Fan sei, sagt Waters, aber etwas gegen sein politisches Engagement habe, solle sich vor Beginn der Show an die Bar verpissen – Jubel. Dystopische Bilder in erschreckend guter Räumlichkeit flimmern über die LED-Wand, Waters’ rauschlebenssatte Sprechgesangsstimme ertönt und lässt Leonard Cohen mehr denn je vermissen. Hubschrauberdonnern. Eine diffus rebellische Stimmung geht in „Another Brick In The Wall“ über, Gitarrist Dave Kilminster gewinnt nicht zum letzten Mal an diesem Abend den David-Gilmour-Ähnlichkeitswettbewerb auf seinen Saiten. Waters steht da ganz in Schwarz, das enge T-Shirt lässt einen bestens durchtrainierten Seniorenkörper erkennen, im September wird er 80. Der Mann provoziert Jubel. Badet im Applaus: „It’s fun“, sagt er, es ist ein Spaß für ihn, und: „I’m a lucky man!“, er ist glücklich.

Anne Frank, George Floyd, eine Palästinenserin...

Zu „The Powers That Be“ marschieren Soldatenbataillone, erst wird an die Todesstrafe gegen Sophie Scholl erinnert, dann an den Tod einer Palästinenserin in Jenin; es folgen Anne Frank, George Floyd und andere Gewalt-Opfer – eine Reihung, die den industrialisierten Massenmord an Millionen Juden gleichsetzt mit Opfern von Krieg und Polizeigewalt. US-Präsidenten von Ronald Reagan über Bill Clinton und Barack Obama bis Joe Biden ziehen als „Kriegsverbrecher“ vorbei: „Sie wollen unseren Widerstand brechen und ihre Herrschaft fortsetzen.“ Immerhin tauchen später auch mal Putin und Xi Jinping im Bild auf, als es um diktatorische Regimes geht.

Überhaupt saugen die Schlagzeilen und Bilder auf der Wand immer mehr Aufmerksamkeit auf, die Songs drohen zur Begleitmusik zu werden, schiere Kulisse für die Show. Waters’ Ansagen geraten immer länger, sorgfältig erklärt er seinen Song „Welcome to the Bar“ aus der Covid-Zeit. An der Bar könne man sich mit Freunden und mit Fremden treffen, Meinungen teilen.

„Shine On You Crazy Diamond“ im überwältigenden Sound

Und dann geht es zurück „in eine Zeit, in der ich meine Songs mit einer anderen Band gespielt habe“: Es ertönen „Have a Cigar“ und die immer noch elektrisierenden Akustiksaiten-Klänge von „Wish You Were Here“, zu denen Millionen junger Menschen sich hin- und weggesehnt haben. Es wird jedoch schnell klar, dass all dies die Erinnerung an Syd Barrett heraufbeschwören soll, jenen genialen Gitarristen und Songschreiber, den die Band an die Drogen und den Wahnsinn verlor. Waters’ Stimme lässt nun aber doch David Gilmour sehr vermissen. Die beiden finden allerdings in diesem Leben nicht mehr zusammen, Waters war ja auch innerhalb der Band, nunja, umstritten; oder um es noch freundlicher zu sagen, ein schwieriger Charakter.

Es gibt ein amtliches Lap-Guitar-Solo, dann noch eins auf dem Saxophon, und man schwelgt darin, wie schön es doch war, dass Soli auch mal länger dauern durften, früher. Bei „Shine On You Crazy Diamond“ ist der Sound dann doch zu sehr auf Überwältigung aus, um noch glasklar sein zu können. Jetzt geht es um Inspirationen durch Orwells „Animal Farm“ und Huxleys „Brave New World“, da fliegen Schafe, irgendwie auch unter Wasser. Eine bittere Parodie des Psalms 23 flimmert vorbei. „Widersteht dem Kapitalismus“, „Widersteht dem Faschismus“, „Widersteht dem Militarismus“, „Widersteht dem Krieg“.

„Money“ und die „Brain Damage“-Hymne von „The Dark Side Of The Moon“

Nach der Pause wird Waters dann hinter einer Sonnenbrille mit der MP ins Publikum feuern. Oder ist das Schwein gemeint? Das Schweinesystem gar? Die gekreuzte Hämmer auf rotem Grund, die leitmotivisch wiederkehren und schon mal ins Marschieren verfallen, könnten auch ein Arbeiter- und Mauern-Symbol sein – oder eines für nimmermüden Fleiß im Kapitalismus. Dann geht es noch einmal gegen Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan, im Irak und ihre Veröffentlichung durch Chelsea Manning, mündet in die Forderung nach einer Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange.

Die rhetorische Frage „Is That the Life We Really Want?“ begleiten Bilder von Dollarbündeln, Rolex-Uhren, Kreditkarten, Bibeln, Kaviardosen, Milliardären, Colaflaschen, Panzern. „Money“ ist allerdings auch nicht viel subtiler – aber immerhin geht hier musikalisch so richtig die Post ab, auch hier wieder dicht am Studio-Original. Man mochte gerade verzweifeln über die Bilder von Kindern auf einer Müllkippe des globalen Südens, die wie torkelnde Geier durch den frisch abgekippten Wohlstandsrest tappen, um ein paar Krümel fürs Überleben zu finden. Und dann noch eine Horrorvision vom Dritten Weltkrieg, verbunden mit dem ebenso nachvollziehbaren wie aussichtslosen Appell, Politiker dazu zu drängen, Atomwaffen abzuschaffen. Aber zu „Brain Damage“ vom Über-Album „The Dark Side Of The Moon“ gibt es dann doch endlich mal positive Bilder: Ausgelassen und gekonnt bis befreit tanzende Menschen in aller Welt. So etwas wie die Vorgruppe zur Ausmarsch-Kapelle. Jubel. Draußen wartete der Regen.