Köln. Der Streit um Roger Waters geht am Dienstagabend mit Mini-Demos vor dem Konzert in der Kölner Arena weiter. Antisemitismus? „Geh mir doch weg!“

Vor der Kölner Arena ist das knappe Dutzend Demonstranten von den „Antfascista Bonn Rhein Sieg“ am lautesten, und sie haben die Redner der Demo am Vortag auf Band dabei. Sie fordern, Palästina von der fundamentalistisch-islamischen Hamas zu befreien. Dagegen lässt ein anderes Dutzend, mit Palästina- und Friedenstauben-Fahnen „bewaffnet“, gelegentlich die „internationale Soli-da-rität“ hochleben. Und fordert, Palästina zu befreien.

Wenn der Hintergrund nicht so ernst wäre, man könnte an einen Filmset glauben, mit dem „Das Leben des Brian“ aktualisiert werden soll. „Antisemitimus? Ich kann es nicht mehr hören!“, schnaubt Tina (62) aus Münster: „Bloß, weil einer Israel kritisiert?“ Andere zucken bei der Frage nach Unbehagen mit den Schultern: „Ich weiß nicht…“ Oder: „Das hat doch mit der geilen Mucke nix zu tun!“

Es reicht nicht, den Antisemitismus-Stempel zu verteilen

Den Fans von Roger Waters, und das könnte die eigentlich alarmierende Nachricht für die amtlichen und selbsternannten Antisemitismus-Beauftragten im Lande sein, ist das mit dem Antisemitismus-Ruch ziemlich egal. Bestenfalls eine lästige Randerscheinung. Vielleicht reicht es nicht aus, den Antisemitismus-Stempel zu verteilen und „Alarm, Alarm!“ zu rufen. Vielleicht muss man erklären, was an Waters‘ Haltung wirklich antisemitisch ist und warum das in alte Kerben haut, die schon von den Nazis bearbeitet wurden. Man könnte aber auch einfach sagen, wie bescheuert es ist, dass einer in Pjöngjang, Moskau und Damaskus in lupenreinen Diktaturen auftritt, aber nicht im einzigen demokratischen Land des Nahen Ostens, in Haifa oder Tel Aviv. So wenig wie Waters‘ Bekenntnis „Ich bin kein Antisemit“ als Beweis dafür gelten kann, dass er keiner ist, so wenig muss die Zuschreibung, er sei ein Antisemit, blind geglaubt werden.

Lesen Sie auch: Umstrittener Roger Waters feuert in Köln mit Polit-Parolen

Bei Waters, und das ist bei Linken dieser Welt alles andere als eine Ausnahme, bekommt der Antikapitalismus schnell mal einen antisemitischen Zungenschlag; für einen, der nicht wenig von eben diesem Kapitalismus profitiert hat, ohnehin eine zwiespältige Angelegenheit. Umso mehr wäre es Gold wert, einzelne Handlungen und Aussagen von Roger Waters unter die Lupe zu nehmen und nachzuweisen, was daran konkret antisemitisch ist. Die mangelnde Differenzierung zwischen Antikapitalismus und Antijudaismus ist künstlerisch allemal ein Offenbarungseid. Und entscheidend ist in der Kunst immer noch auf’m Platz, im Konzert, auf der Leinwand, im Text. Was Waters an hanebüchenen Polit-Statements etwa in Sachen Putin von sich gibt, lässt sich ebenfalls nicht einmal wohlmeinend unter „Polemik“ wegbuchen; es ist einfach krauses Zeug, das erschreckend viel Ähnlichkeit mit den kruden Angriffskriegs-Verteidigungs-Theorien Wladimir Putins aufweist.

Sie wollen „Wish You Were Here“ oder „Another Brick in The Wall“ hören

Aber genau das wird von den Fans, die noch einmal Pink Floyd hören wollen, „Wish You Were Here“ oder „Another Brick in The Wall“, als der Blödsinn beiseitegeschoben, der es ist. Deswegen sind heute trotz der Proteste 11.000 Fans nach Köln gekommen, aus dem weiten Umkreis, von Dortmund bis Venlo, von Münster bis Koblenz. 250 Leute haben am Vortag dagegen demonstriert, die Veranstalter hatten 500 Teilnehmer angemeldet; an der Spitze der Demo: Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos), die von 20.000 Anhängern orakelte, die in die Kölner Arena strömen würden – eine Art von Präzision, die es den Waters-Verteidigern leicht macht, von „Übertreibungen“ zu sprechen und das auf den Antisemitismus-Verdacht auszudehnen.

Die meisten hier haben ihre Tickets (ab 88,72 Euro, bis 295,72 Euro im „Golden Circle“) früh gebucht – lange bevor die Antisemitismus-Debatte um Roger Waters in den Medien aufbrandete. Es ist ja, glaubhaft oder nicht, die „first Farewell-Tour“ des Mannes, der Anfang September 80 wird. Und wer ein Ticket hat, dem fällt es schon mal schwer, ein Konzert schlecht zu finden – erst recht im Vorhinein. Von Rückgaben wusste der Veranstalter FK Scorpio nichts zu berichten; es könnte aber sein, dass Waters es zumindest in Deutschland künftig schwer haben wird, Veranstalter für Konzerte einer Tournee zu finden, die vielleicht „The last Farewell-Tour“ heißen könnte.