Essen. Konzertabsagen wegen Antisemitismus-Vorwürfen begegnet der „Pink Floyd“-Mitgründer Roger Waters selbstbewusst. Der Ticket-Verkauf leidet nicht.

„We are on the Road to Frankfurt“, frohlockte der umstrittene Rockmusiker Roger Waters am Dienstag, „Frankfurt wir kommen!“ Und drohte zugleich: Er und seine Anwälte würden die Absage seines geplanten Konzerts in der Frankfurter Festhalle am 28. Mai mit einer einstweiligen Verfügung „im Eilverfahren“ zunichte machen, falls „die vorgerichtlichen Bemühungen scheitern“.

Waters’ Erfolgsaussichten stehen gar nicht schlecht: In München und Hamburg, wo es ebenso Proteste gegen den ehemaligen „Pink Floyd“-Musiker gibt, weil er des Antisemitismus bezichtigt wird, hat man von Konzertabsagen schon Abstand genommen. Dass es in Frankfurt überhaupt zu einer Absage kam, beruht darauf, dass der Ort des geplanten Konzerts, die Festhalle, im Besitz des Landes Hessen und der Stadt ist.

Andere Hallen von Waters’ Tournee sind in Privatbesitz: Die Kölner Arena gehört einer Junson Capital Company Ltd. in Hongkong, die Hamburger Arena der Anschutz Entertainment Group in Los Angeles, ebenso die Berliner Arena. Für die geht es ums Geldverdienen, nicht um politische Korrektheit. Die Kartenpreise für Waters-Konzerte fangen bei rund 90 Euro an; man kann aber auch 465 Euro für „Top Seats“ ausgeben.

Veranstalter fürchten Schadensersatz in Millionenhöhe

In die Frankfurter Festhalle passen bis zu 15.000 Menschen – Frankfurt und Hessen könnte die Kündigung des Vertrags mit Roger Waters also, falls sie bestehen bleibt, teuer zu stehen kommen. Der dort wie andernorts verantwortliche Veranstalter FKP Scorpio schweigt, solange die juristische Situation ungeklärt ist – aber wenn das Konzert tatsächlich platzt, wird Waters nicht der einzige sein, der Schadensersatz fordert. Das kann, angesichts der zu erwartenden Umsätze, leicht in die Millionen gehen. Das Fachblatt „Rolling Stone“ schätzte: 2,6 Millionen.

Die außerordentliche Kündigung des Konzertvertrags wegen „anhaltend israelfeindlichem Auftreten“ dürfte nicht einmal vor deutschen Gerichten Bestand haben, wo dieser Vorwurf angesichts der Holocaust-Vergangenheit des Landes noch am schwersten wiegt. Die Kündiger müssten sich ja auch vorhalten lassen, dass das fragwürdige Verhalten von Waters nicht neu und bei Vertragsabschluss bekannt gewesen sei. Und nach der Kritik daran, dass der 79-jährige Waters in Konzerten Ballons in Schweineform mit Judensternen aufsteigen und abschießen ließ, wurde dieser Teil der Show gestrichen. Gleichwohl will Waters das nach wie vor als Kritik am Dogmatismus von Religionen verstanden wissen.

Erstaunliche Umwertung gewohnten Verhaltens

Ihm geben die Absage- und Boykott-Forderungen gegen seine Konzerte sogar noch die Chance, sich zum Vorkämpfer der Meinungsfreiheit zu stilisieren: „Politiker haben kein Recht, Künstler und ihre Fans mit Auftrittsverboten einzuschüchtern und zu schikanieren“, tönte er am Dienstag in London. Überhaupt führt der Fall zu einer erstaunlichen Umwertung gewohnten Verhaltens: Ausgerechnet unter denen, die jetzt eine Konzertabsage fordern, sind nicht wenige, die sonst über eine „Cancel Culture“ klagen, über Versuche von Linken also, die Auftritte politisch Missliebiger durch öffentlichen Druck, Drohungen oder gar Erpressung zu verhindern. Der krude Linke Waters, der das Kunststück fertigbrachte, vor der Uno den Angriff auf die Ukraine zu verurteilen und gleichzeitig Verständnis für Putin zu äußern, wird in Deutschland vertreten vom Kölner Anwalt Ralf Höcker, der sonst in der CDU aktiv ist und im Privatfernsehen gern auch mal die Rechtsverstöße von Klima-Aktivisten in Lützerath anprangert.

„Wo beginnt Antisemitismus“ wird zu wenig diskutiert

Bei alledem wird auffallend wenig über die Kernfrage des Ganzen diskutiert: Wo beginnt Antisemitismus? Wie weit darf die Kritik am Verhalten des Staates Israel gehen? Selbst eine unzweifelhaft überparteiliche Nicht-Regierungsorganisation wie Amnesty International musste sich vor einem Jahr wegen eines Berichts zur Menschenrechts-Situation der Palästinenser in Israel, der von einem System der Apartheid sprach, gegen Antisemitismus-Vorwürfe wehren. Unbestreitbar, dass es auch subtilen Antisemitismus gibt und dass er mit Blick auf die deutsche Geschichte angeprangert werden muss. Das Dilemma ist allerdings in dem Moment perfekt, in dem der Antisemitismus-Vorwurf zugleich dazu genutzt wird, legitime Kritik an israelischer Politik abzuwehren.

Als Werbestrategie scheint die Skandalisierung der Waters-Konzerte jedenfalls zu funktionieren: Für die Frankfurter Festhalle sind nur noch Karten ab 294,72 Euro zu bekommen. Und Waters’ ehemaliger Bandkollege Nick Mason hat sich am Dienstag noch ganz begeistert über Roger Waters geäußert. Aber da ging es um dessen Neubearbeitung des Klassikers „The Dark Side Of The Moon“: „Ärgerlicherweise“, so Mason, „ist sie absolut brillant!“