Köln. Sam Smith gilt als Idol für die queere Community. Am Montagabend präsentierte er eine gigantische Show in der Kölner Lanxess Arena.
Sam Smith macht es ihnen leicht. Den Verächtern, den Verfluchern und den Verkündern frommer Botschaften, die da lauten: „Du gehörst in die Hölle.“ Mit gehörntem Zylinder und Teufelsgabel facht Smith bei „Unholy“ den großen Grillrost der Verdammnis noch ein bisschen an. Und eigentlich glüht der schon ganz gewaltig. Dank glitzerndem Leder-String-Tanga, Nippelaufklebern mit Ringen überm Brusthaar und lackledernen Overknees, wie sie dereinst schon Julia Roberts zur „Pretty Woman“ machten. Im Einspieler räkelt sich Transfrau Kim Petras der Kamera entgegen…
Mit dem Hit des grammyprämierten, besten Pop-Duos des Jahres 2022 geht Montag kurz vor 22.30 Uhr in der Kölner Arena eins der wohl wichtigsten Konzerte des Jahres 2023 zu Ende. Es ist nur eins von zweien, die Sam Smith in Deutschland gibt. Und, so wie sein Berliner Zwilling, vergangene Woche am 1. Mai, restlos ausverkauft. Eins der wohl wichtigsten deshalb, weil Smith ein Mensch ist, der von sich sagt „Ich fühle mich genauso viel als Frau wie ich ein Mann bin“, der das lebt und öffentlich zeigt – und damit zu den nicht allzu vielen gehört, die Vorbildfunktion haben. Eine Conchita macht noch keinen queeren Sommer. Und nonbinäre Künstlerpersönlichkeiten vom Format einer Lizzo gibt es noch immer viel zu wenige.
Album „Gloria“ von Sam Smith: „Obszön“, „verkommen“, „fetter Klecks“
Ebenso wie die Kollegin ist auch Smith ein rotes Tuch für die Weightwatcher im Geiste des BMI. Im Zuge der Präsentationen zum aktuellen Albums „Gloria“ hagelte es Beleidigungen. „Obszön“, „verkommen“, „fetter Klecks“ gehörten noch zu den netteren. Frauen, die schlank sind, dürfen Korsagen tragen, nackte Haut zeigen, mit dem Popo wackeln. Männer, die auch Frauen sind, die Männer lieben wie Smith und nicht schlank sind, dürfen das nicht.
Unterteilt in drei Akte – Liebe, Schönheit und Sex – und jeweils eingeleitet von sphärischen, opernhaften oder sakralen Klängen hat das Konzert den Charakter eines extravaganten und immens unterhaltsamen Monumentalfilms: opulent wie „Vom Winde verweht“, mitreißend wie „Sister Act“, verrucht wie „Cabaret“. Was verborgen unter weißem Tuch anmutet, als sei es eine im Geiste Christos verpackte Hügellandschaft, stellt sich nach der Enthüllung als nackte, kurvige Skulptur heraus. Die ganz und gar güldene Gottheit der Liebe ist so riesig, dass sie die gesamte Länge der Bühne einnimmt. Den Kopf auf den Arm gebettet, die Augen geschlossen, scheint die Schönheit zu schlafen. Ein Bein angewinkelt, auf dem Bauch liegend, präsentiert sie dem Publikum ihren Popo. Nicht sehr bequem diese Lage, aber schön anzuschauen. Schultern, Kopf und Flanken werden in den nächsten 105 Minuten zu Podesten, Plattformen und für Smith, seine vierköpfige Band, seine drei Backgroundstimmen und seine sechs Tänzer und Tänzerinnen.
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Sam Smith in Köln: „Heute Abend geht es um Freiheit“
Mit vibrierendem Timbre und klarem Kinderaugenblick, sahnigem Schmelz und Grübchenlächeln, mächtiger Partyröhre und laszivem Augenaufschlag singt und tanzt sich Smith durch alle vier Alben und 21 Stücke. Sätze wie „Heute Abend geht es um Freiheit“ und „heute Abend ist das hier ein ,safe space’, ein sicherer Raum’“ klingen gleichzeitig kämpferisch und beruhigend. Und das leitmotivisch wiederkehrende Umarmen und Küssen des Ensembles mutet an als sei das Teil eines Gospelgottesdiensts. Die Bühnengewandungen von Smith können es mit denen von Lady Gaga aufnehmen. Angefangen von der steifen Barockkorsage, die den Schlips zum Haltevehikel derselben degradiert über eine wallende Woge lilafarbenen Stoffs mit Keulenärmeln, deren Saum so anmutig angehoben wird, als schritte Scarlett O’ Hara zum Tanze bis hin zu jenem Tanga des Anstoßes beim teuflischen Finale.
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Mit „Latch“ erinnert Smith dynamisch an sein Gastspiel bei Disclosure, Donna Summers „I Feel Love“ und Madonnas „Human Nature“ verweisen auf zwei Ahninnen, die gleichfalls nicht zu jenen zählen, denen man hätte allzu viel Artigkeit vorwerfen können. „I’m not Here To Make Friends“ heißt eins der stärksten Stücke von „Gloria“. In dem Smith klarstellt, um was, in bestimmten Situationen des Lebens, an bestimmten Orten, stattdessen geht: „I need a lover.“ Auch das ist böse, böse, böse. Zeig’ noch mal die Teufelshörner, Sam!