Bochum. Eine Reise in die Gewalt „ganz unten“: Nora Schlocker inszeniert in Bochum „Blank“ von Alice Birch – mit Masken für alle

In den Bochumer Kammerspielen muten Regisseurin Nora Schlocker und Dramaturgin Susanne Winnacker dem Publikum viel zu. Doch es ist eine 100-minütige Zumutung, die man aushalten sollte, obwohl oder weil am Ende, das keines ist, kaum mehr bleibt als Verstörung und Ratlosigkeit.

Das Stück mit dem englischen Titel „Blank“ („leer“ in der gesamten Bedeutungsbreite des Wortes) konfrontiert mit einem weitgehend ignorierten oder als minderwertig betrachteten Teil der Gesellschaft. Es geht um das Leben unter prekären Bedingungen im Umfeld von Armut, Kriminalität, Drogen und Alkohol, um Gewalterfahrungen von Frauen und Jugendlichen und um die verzweifelten Versuche, diesen das Sozialsystem überfordernden Kreislauf irgendwie zu durchbrechen.

Nora Schlocker wählt 20 von 100 Szenen aus, die Alice Birch geschrieben hat

„Blank“ von Alice Birch ist kein homogenes Stück. Die britische Autorin stellt 100 kleine, zum Teil in Strafanstalten recherchierte Gesprächsszenen zur freien Verfügung. Es gibt keine Rollenzuweisungen, Birch legt keine Reihenfolge fest, stellt keine Zusammenhänge her, bewertet nicht, macht keine Angaben zu Alter und Geschlecht. Es bleibt Regie und Dramaturgie vorbehalten, sich wie aus einem Lego-Kasten die gewünschten Bausteine herauszupicken. In Bochum beschränkt sich Nora Schlocker auf rund 20 Texte, in denen es um Jugendliche geht, um Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung. Auf Marie Roths leerem (blanken) Bühnenkasten ist dabei kein Platz für Individualisierung.

Die acht Ensemblemitglieder tragen, wie die Zuschauer, weiße Pappmasken. Die ganze Gesellschaft, will die Regisseurin zeigen, trägt mit Blick auf die Spirale von Gewalt, Einsamkeit, unerfüllter Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit eine ähnliche Maske. Alle sind gleich, alle können nur gemeinsam den Kreislauf des Grauens durchbrechen. Die durch die Masken weitgehend auf die Körpersprache beschränkten Darstellerinnen und Darsteller gleiten dabei fast übergangslos in eine neue Situation. Da reagiert eine Pommes-Buden-Angestellte aggressiv, weil ein Kunde sie so herablassend behandelt; ein Jugendlicher will seine alkoholabhängige Mutter bestehlen, weil er wohl seinem Dealer Geld schuldet. Ein Sohn ist mit seiner inhaftierten Junkie-Mutter nur über die Sprach-Briefe, über Tonkassetten verbunden, die sie aus dem Knast schickt.

Es könnte endlos weitergehen – und verunsichert massiv

Das könnte endlos weitergehen und endet schließlich so abrupt, dass das Premierenpublikum erst nach langen Sekunden der Verunsicherung zu stürmischem Applaus ansetzte.

Termine: 12., 13. und 23. Mai (19.30 Uhr). Karten: Tel. 0234-333355555