Essen. Zieglein, Zieglein in der Wand: Das halbe Revier ist auf Backstein gebaut. Eine Ausstellung der Zeche Hannover in Bochum wird dem nicht gerecht.

In den alten Zechensiedlungen, die nicht unter Denkmalschutz stehen, verschwinden immer mehr Außenwände hinter Wärmedämmung und Putz. Die einen sind froh darüber, weil sie in den dunklen Ziegelsteinen vorwiegend trübe Tristesse sehen – die anderen bedauern, dass damit wieder ein Stück alte Ruhrgebiets-Optik verschwindet.

Es gab eine Zeit, da war fast das gesamte Revier auf Ziegelsteinen gebaut. Häuser zu verputzen hatte keinen Zweck, wurde ja doch alles schwarz verrußt nach einer gewissen Zeit. Bei den Ziegelsteinen wirkte die farbliche Veränderung vom ursprünglichen Rot ins Braunschwarze fast schon wie eine gewollte Patina.

Eine profitable Frühform von Nachhaltigkeit

Die vermutlich Milliarden von Ziegelsteinen im Ruhrgebiet, aus denen auch die meisten Zechenbauten wie Lohnhallen, Kauen, Malakofftürme und Maschinenhäuser bestanden, hatten einen ganz praktischen Grund: Bei den Abteuf-Arbeiten für die Schächte förderte man oft lehm- oder tonhaltiges Material aus der Tiefe an die Oberfläche – aus diesem Aushub-Material Ziegelsteine zu brennen, war eine profitable Frühform von Nachhaltigkeit. Zumal als Brennmaterial gemahlene Kohle genutzt wurde. Ziegler zu sein, war ein knochenharter, monotoner Job und schlecht bezahlte Saison-Arbeit: Erst ab Ende März wurden Ziegel gestrichen, gebrannt wurde im Ringofen nur bis Ende Oktober.

Um 1900 gab es im Ruhrgebiet fast 100 Zechenziegeleien. Lehmbacksteine, so ist auch in der aktuellen Ausstellung über Ziegelarchitektur im Ruhrgebiet („Gut gebaut“) in der Bochumer Zeche Hannover zu erfahren, werden bei 900 Grad „gebacken“ und sind wenig wetterfest – die haltbareren Ton-Klinger benötigen dagegen Temperaturen von 1200 Grad. Das ergibt denn auch eine wenig günstige Klima-Bilanz für Backsteine – die bestmögliche erreichen sie erst nach 50 Jahren. Immerhin sind Ziegelsteine zu 95 Prozent recycelbar. Immerhin hat es die deutsche Ziegelindustrie seit 2015 geschafft, ihren nicht unerheblichen CO2-Ausstoß um ein Fünftel zu senken.

Ausstellung präsentiert nur wenige Fakten zum Ziegel

Damit wären die wenigen Fakten zum Ziegel, die in der Bochumer Ausstellung zu erfahren sind, schon fast aufgezählt. Dabei wäre keine zehn Kilometer Luftlinie weiter viel über Mikrowellentrocknung und den Wasserstoff-Einsatz in der Ziegelindustrie oder auch über ziegelhaltigen Beton zu erfahren – im Essener Stadtteil Kray ist schließlich das Institut für Ziegelforschung angesiedelt. Um mehr über die Geschichte der Ziegelbrenner zu erfahren, müsste man indes schon zum Ziegelei-Industriemuseum im westfälischen Lage reisen.

In Bochum sieht man dagegen viele Schautafeln mit tatsächlich imposanten Ziegelbauten aus dem Ruhrgebiet: Die Heiligkreuzkirche in Gelsenkirchen oder die Bochumer Autobahnkirche Epiphanias, das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Lünen, der Hauptbahnhof und das Brecht-Haus in Oberhausen, die Zeche Waltrop, das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm, das Finanzamt in Hagen, der Wasserturm in Essen-Frillendorf – alles imposante Beispiele für architektonische Leistungen in Ziegelstein, unter denen vielleicht das Sterneck- und das Ringeck-Haus in Gelsenkirchen für manche noch die spektakulärste Entdeckung sein dürfte.

Erinnerung an verloren gegangene Maurerkünste

Schließlich kam der Ziegel mit der Backsteingotik, dem Jugendstil und der expressionistischen Architektur wieder extrem zur Geltung. Niels Lehmann und Christoph Rauhut haben vor einigen Jahren mit ihrem Band „Fragments of Metropolis Rhein-Ruhr“ schon gezeigt, dass es nirgends in Europa eine derartige Dichte an Ziegelbauten der 1920er-Jahre gibt wie im Revier.

Aber die Zechensiedlungen der einfachen Bergarbeiter, allen voran Eisenheim oder die „Kolonie“ in Moers-Meerbeck, finden in Bochum so gut wie keine Berücksichtigung. Wiewohl doch auch hier architektonische Details wie Schrägzähne, Ziegenfüße, Fenster- und Türbögen oder ornamental gestaltete Tropfkanten an der Dachtraufe der Erinnerung wert wären, weil sie an großenteils verloren gegangene Maurerkünste erinnern. Der Ziegelstein im Ruhrgebiet bleibt ein Feld, das noch zu beackern wäre.