An Rhein und Ruhr. . Nirgends in Europa gibt es eine derartige Dichte von expressionistischen Bauten der 1920er-Jahre wie im Revier und am Rhein. Das zeigt das neue Buch „Fragments of Metropolis“.
Städtebaulich ist das Ruhrgebiet nicht gerade ein Vorzeigeobjekt. Das vernarbte Gesicht der Städte geht zurück auf eine gewisse Freude an der Verstetigung von Verlegenheitslösungen, auf Bomben des Zweiten Weltkriegs und – mehr noch – die Neubauwut der 50er und 60er-Jahre. Zechen und Hochöfen indes, einst ebenfalls heftig am architektonischen Wildwuchs beteiligt, haben sich als Industriekultur-Denkmäler zum Markenzeichen des Reviers aufgeschwungen.
Doch es gibt noch eine andere, bislang eher verborgene Bauqualität an Rhein und Ruhr. Wer eine Landkarte des expressionistischen Bauens in Europa erstellt, wie es die Architekturhistoriker Christoph Rauhut und Niels Lehmann getan haben, sieht sofort, dass es nirgendwo so viele Bauten dieses Stils gibt wie zwischen Düsseldorf und Dortmund.
Anders als in der Malerei boomt der Expressionismus in der Architektur nach dem Ersten Weltkrieg. Und anders als den Malern geht es den Architekten nicht um möglichst exzentrischen Selbstausdruck. Sie versuchen, zwischen der oft überladenen Bautradition des Kaiserreichs mit seinem Retro- und Jugendstil hier und der kühlen Neuen Sachlichkeit mit ihren oft allzu klaren Linien dort zu vermitteln. Gezackte Außenfassaden und Backstein sind markante Merkmale wie beim Chile-Haus in Hamburg; der Berliner Einstein-Turm von Erich Mendelssohn aber zeigt mit seiner geschwungenen Putz-Fassade, dass es vor allem um Ausdrucksstärke geht – Architektur als Bildhauerei mit anderen Mitteln.
Bauten für Verwaltung, Infrastruktur, Bildung und Firmen
Im Ruhrgebiet war in den 20er-Jahren allerorten Aufbruch: Architekten wie Alfred Fischer, Edmund Körner und Wilhelm Kreis erhielten Aufträge für Verwaltungsbauten wie das Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen, für Rathaus und Hauptbahnhof in Oberhausen, das Gemeindehaus in Wanne-Eickel, das Finanzamt in Hagen, das Postamt Buer oder das Haus des Siedlungsverbands Ruhrbezirk. Expressionistisch gestaltet wurden auch Infrastruktur-Bauten wie die Essener Börse, heute „Haus der Technik“, die Duisburger Schwanentor-Brücke, das Umspannwerk in Recklinghausen oder der Wasserturm in Frillendorf, aber auch Kirchen wie St. Michael in Bochum und Oberhausen sowie Heilige Schutzengel in Essen, aber auch Schulen wie die August-Thyssen-Realschule in Duisburg oder das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Lünen. Aber auch Firmen wie die Dortmunder Union-Brauerei, die Gutehoffnungshütte in Oberhausen, Lehnkering in Hagen.
Wettbewerb zwischen den Städten
Insgesamt 155 Gebäude von 115 verschiedenen Architekten haben Christoph Rauhut und Niels Lehmann für ihren Band „Fragments of Metropolis. Rhein & Ruhr“ zusammengetragen; Köln und Düsseldorf gehören aus ihrer (Berliner) Sicht zum Ballungsraum „natürlich“ dazu: „Damals“, sagt Rauhut, „haben sich die Städte einen regelrechten Wettbewerb im Bauen geliefert, jede wollte sich durch Modernität, Kühnheit und Geschmack auszeichnen.“
So ließ man Wilhelm Kreis in Düsseldorf mit dem Marx-Haus an der Heine-Allee das zeitweise größte Hochhaus Deutschlands errichten – bevor dann Köln mit dem Hansaring-Hochhaus wieder die Nase vorn hatte.
Hervorragend geeignet als Architektur-Reiseführer
Der „Fragments of Metropolis“-Band eignet sich mit seinen Karten jedenfalls hervorragend als Architektur-Reiseführer. Und weil die Bauten an Rhein und Ruhr dicht genug zusammenliegen, lassen sie sich auch gut in Form einer Fahrradtour besichtigen.