Düsseldorf/Dortmund. Zweimal Computerkunst: Gefällig mit Refik Anadol im Düsseldorfer Kunstpalast, kritisch aufmunternd mit Stolzer und Rütten im Dortmunder U-Turm.

Refik Anadol ist ein Shooting-Star der Kunstszene, der 1985 in Istanbul geborene Design- und Medienkünstler lehrt als Professor an der University of California in Los Angeles. Und als die Industriemuseen in NRW 2021/22 mit Medienkunst nach der Zukunft der Zukunft fragten, führte an Refik Anadol praktisch kein Weg vorbei: Seine Datenskulptur „Industrial Dreams“ aus 370.000 Fotografien von Stahlwerken und Zechen ersetzte auf der Henrichshütte vorübergehend den 1990 nach China verkauften Hochofen II. Auf der riesengroßen Bildwand war von den Fotos nicht mehr viel zu erkennen, es waberte spektakulär, bunt und irgendwie organisch.

So ähnlich sieht das jetzt im Düsseldorfer Museum Kunstpalast aus. Hier gibt es zwei gut zehn Meter hohe LED-Bildwände, eine mit „Ma­schi­nen-Halluzinationen/Satelliten-Simulationen: B“, in denen es träge blubbert, perlt und fließt wie in einer Magma-Masse oder einem Moortümpel mit Wasserpest. Nur bunter. Im Saal daneben waren „Naturträume – Generative Landschaften“, in der die zugrundeliegenden Bilder zu archetypischen Landschaften zusammenwachsen, die wie unter Spinnennetzen daliegen. Außerdem gibt es im Kunstpalast noch das Bildschirm-Triptychon „Wald-Pigmentierungen“.

Für Refik Anadol ist Künstliche Intelligenz ein „Pinsel“, Daten sind seine „Farbe“

Allen drei Datenskulpturen liegen Millionen von Bildern zugrunde, die, so Refik Anadol, eingegangen seien in das „Gedächtnis“ der Maschine. Die zugrundeliegenden Daten bezeichnet er als „Farbstoff“, in der Künstlichen Intelligenz seiner Computer habe er einen „denkenden Pinsel“ gefunden, so der eloquente Medienkünstler. Die Millionenzahlen der Bilder, die gigantisch großen Bildwände, dienen aber vor allem einer Überwältigungsstrategie, die verstummen lässt. Da, wo sich die Daten in eine irgendwie malerische Oberfläche verwandelt haben, ist ihre Herkunft ausgelöscht; übrig bleibt ein pittoresker Wandteppich in Bewegung, eine Filmtapete, die sich hervorragend für Instagram-Posts eignet, und für die mediale Berichterstattung selbstverständlich auch.

Ein Gegenmodell zu dieser Art von digitalem Kunstdesign ist derzeit im Dortmunder U-Turm zu sehen. Dort setzt der Hartware Medienkunstverein die Förderung des einfallsreichen Dortmunder Kunst-Duos Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten fort. Auf ihren Monitoren wird die Perspektive umgekehrt: Wir sehen die Welt aus den Augen von Organismen, die sonst stumm sind oder uns verborgen bleiben.

Im Dortmunder U-Turm warten knallbunte Monitor-Inseln von Stolzer und Rütten

Ausschnitt aus der Arbeit „Xtract“ von Lex Ruetten und Jana Kerima Stolzer im Hartware Medienkunstverein im dritten Stock des Dortmunder U-Turms.
Ausschnitt aus der Arbeit „Xtract“ von Lex Ruetten und Jana Kerima Stolzer im Hartware Medienkunstverein im dritten Stock des Dortmunder U-Turms. © LexRuettenundJanaKerimaStolzer

Stolzer und Rütten (beide Jahrgang ‘89) lassen die digital simulierten Pflanzen auf knallbunten Monitor-Inseln im besten Musical-Stil erzählen oder gar singen, alles auf Englisch und nicht ohne Ironie und Humor. Wer die Ausstellung besucht, bekommt einen Kopfhörer, auf dem sich an jeder der sieben Stationen der passende Ton einschaltet; eine VR-Simulation gibt es obendrauf. Die Installationen sind am Puls der aktuellen Probleme, Phantasie und Wissenschaft, Kritik, Erzählfreude und Witz fließen zu einem sehr eigenen Kunstcharakter ineinander. Man verlässt diese Ausstellung nicht nur klüger als man hineinging, auch die Laune wird besser.

Es geht auch zurück in die Kohle-Vergangenheit des Reviers – wie vor 49 Millionen Jahren, als der Algenfarn Azolla derart verbreitet war auf den Gewässern der Erde, dass er riesige Mengen von CO2 aus der Luft filterte, die sich dann in Form von Kohle ablagerten. Azolla sorgte auf diese Weise für eine globale Abkühlung. Da liegt der Gedanke ja nicht fern, dass sich die heraufziehende Klimakatastrophe eventuell doch noch mit Gegenmaßnahmen dämpfen ließe – das wird auch kritisch reflektiert in der Station „Symbiotechnica“.

„Wir wurzeln und blühen, Veränderung sind wir“, sagen die Zellen und „Hydras“ frohlocken fistelsingend: „Schneide uns ein Stück ab und 200 wachsen nach“. Bei Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten dient die Software nicht der Überwältigung, sondern dem erweiterten Bewusstsein einer Gegenwart, die von Daten bestimmt sein mag, aber nicht aus ihnen besteht.

Refik Anadol: „Machine Hallucinations“. Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf. Bis 7. Mai. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, Do bis 21 Uhr.

Lex Rütten/Jana Kerima Stölzer: „We grow, grow and grow, we‘re gonna be alright and this is our show“. Hartware Medienkunstverein, Leonie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund. Bis 30. Juli. Geöffnet: Di-So 11-18 Uhr, Do/Fr bis 20 Uhr.