Dortmund. Vom neuen Geist des „Technoschamanismus“ in der Kunst erzählt eine Schau im Dortmunder U – und von Joseph Beuys, dem großen Heilsversprecher.

Dies ist keine Beuys-Ausstellung! Die neue Schau im Hartware Medienkunstverein ist gewissermaßen magrittemäßig untertitelt: Ja, „Technoschamanismus“ ist ein Beitrag zum großen Joseph-Beuys-Fest 2021, ja, die Schau wurde eigens angefragt und gefördert vom Land NRW. „Aber keine Künstlerin und kein Künstler bezieht sich auf Beuys“, betont Kuratorin Inke Arns. Und überhaupt nur eine der zwölf künstlerischen Positionen zeigt das Schaffen des Großmeisters aus Krefeld: „I like America and America likes Me“ (Ich mag Amerika und Amerika mag mich) heißt der Film von René Block und Helmut Wietz über eine Kunstaktion vom Mai 1974 in New York: Drei Tage lebte Beuys da mit dem Kojoten Little John in einem Raum, eine große Filzdecke, ein Hirtenstab und die tägliche Zeitung als Requisiten; im Film sieht man, wie das Tier den Hirtenstab beißt und auf die Zeitung – ja, pinkelt.

Kunstaktion von 1974: Joseph Beuys Kojote war gar nicht wild

Die Aktion begründete Beuys Ruf als „Schamane“ der Kunst, nun war er: der, der mit dem Kojoten tanzt. Nur war der Kojote leider gar nicht wild, wie wir heute wissen, sondern gezähmt, dressiert, an Menschen gewöhnt; auch das verrät die Schau und verrät damit einen nach knapp fünf Jahrzehnten neuen Blick auf die Aktion. Wie ist unser Verhältnis zur „wilden“ Natur, zu anderen Lebewesen? Wo, wie machen wir sie untertan? Oder auch: Wo erfinden wir neues Leben?

„Transformella“ ist – und da wird es schon schwierig, mit diesem „ist“. „Transformella ist nicht ich, aber auch nicht nicht ich“, so definiert der Künstler JP Raether ein Wesen, das er seit elf Jahren begleitet. In Dortmund ist ein begehbarer „Schrein“ aus Pappmache aufgebaut, der „ikea shrine“ mit Resten eines Möbelhaus-Besuches. Per Virtual-Reality-Brille erschließt sich die Geschichte Transformellas und die Ikea-Realität, die „Ikealität“, als psychosozialen Zwischenraum, in dem Kernfamilien zusammengebastelt werden, übrigens genau 433 Mal auf der Welt.

Das Dortmunder Duo Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten zeigen die Erde als Illusion

Neue Technologien und Schamanismus – wie geht das zusammen? In einem Aufsatz, ab Mitte November nachzulesen im Magazin zur Ausstellung, geht Inke Arns den neuen, weltweiten Strömungen nach, die bis Brasilien reichen: der „Tecnoxamamismo“ vereint indigene Künstlerinnen und Künstler mit der Hacker- und Free-Software-Szene. Eine Sehnsucht nach Transformation stellt Arns’ Essay fest, eine Sehnsucht nach Heilung. Für die Schau hat sie vier Themenfelder ausgemacht, von Alchemie bis Kosmologie; gleichwohl ergibt sich kein roter Faden, keine Schlussfolgerung, zu unterschiedlich sind die Arbeiten – was wiederum den Reiz der Schau ausmacht.

Da geht es in Video-Arbeiten um Steinkreise in Senegal und Gambia, um indonesische Maskentraditionen; in einer Installation werden die Schauenden von einem Dschinn „besetzt“. In der Arbeit des Dortmunder Duos Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten ist die Erde selbst nur noch eine Illusion, aufrechterhalten von intelligenten Maschinen: Ihr Film zeigt eine Landschaft aus Drohnenperspektive, in der das Kleine auf irritierende Weise groß und das Große klein wird.

Was können wir überhaupt noch wissen? Diese Frage stellt die in Berlin lebende, aus Irland stammende Künstlerin Mariechen Danz. Auf einer Metallplatte, die wie ein großer Computerchip wirkt, sind Sternkarten aufgedruckt, ein Stoff-Torso zwischen Plexiglasscheiben ist ornamental bemalt; die Irritation als Programm.

Geradezu altbacken wirken auf den ersten Blick die feinen Aquarelle und Zeichnungen der Londoner Künstlerin Suzanne Treister, die Landschaften aber sind ihrer Fantasie entsprungen und überraschend unnatürlich gefärbt, es gibt Raumschiffe, futuristische Städte und Diagramme; eines davon verfolgt fein gezeichnet den Begriff „Technoschamanismus“, setzt ihn in Beziehung zu Umweltfragen und gesellschaftlichen Werten. Und mehr noch als alles andere ist in ihrem feinen Strich genau jene Sehnsucht zu sehen, die dem neuen Schamanentum zu eigen ist: wie wäre es schön, wäre die Welt wieder heil und pastellig.