Kaarst. Ex-Kunstberater Helge Achenbach hat sich ein neues Leben aufgebaut. Birgit Schulz hat ihn mit der Kamera begleitet. Ihre Doku läuft bald im Kino.

Im Grunde ist es wie früher. Helge Achenbach im Dauereinsatz. Ein vitaler Macher inmitten eines Hauses voller Menschen und Kunst, das Handy klingelt unentwegt. Und so könnte man glatt vergessen, dass sich im Leben des 70-Jährigen innerhalb der letzten zehn Jahre so ziemlich alles verändert hat. Anstatt im Luxusbüro am Düsseldorfer Hafen trifft man ihn in einer WG-Küche auf einem Hof in Kaarst – und wenn der ehemalige Kunstberater dann doch zum Telefon greift („Ich muss da eben ran“), ist am anderen Ende kein Künstler, Prominenter oder Wirtschaftsboss, sondern die Volkshochschule.

2014 wurde Achenbach wegen Millionenbetrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt – inzwischen hat er sich in der Nähe seiner alten Heimat Düsseldorf ein neues Leben erschaffen. Eine filmreife Geschichte, urteilte die Kölner Regisseurin Birgit Schulz. Sie hat Achenbach drei Jahre lang mit der Kamera begleitet – Ende April soll ihr Dokumentarfilm „Der Illusionist“ in die Kinos kommen.

Helge Achenbach wirkt guter Dinge

Ein sonniger Montag, beim Verein „Culture Without Borders – Kultur ohne Grenzen“ sitzt man vor dem Gutshaus an der frischen Luft. Achenbach wirkt guter Dinge. Obwohl er am Ende einräumen wird, zwischendurch auch mal traurig zu sein, „darüber, wie alles gekommen ist.“ Außerdem bereitet ihm das Herz Probleme. Beschwerden, die während der Haft angefangen haben. Vielleicht rührt daher eine gewisse Melancholie, die ihn Sätze sagen lässt wie: „Der materielle Tod macht mir nichts aus. Das letzte Hemd hat keine Taschen.“

Eine Befreiung, kein Absturz seien seine Verurteilung und die Haft letzten Endes gewesen, erzählt er. Eine Befreiung von einem „unglaublichen Kunst-Business, das immer geschmackloser wurde und mir die Seele versaut hat.“ 1973, als Achenbach mit einer Galerie in Düsseldorf begann, sei es noch allein um Kunst gegangen. In den 80er-Jahren wurde daraus ein Spekulationsobjekt, immer irrwitziger wurden die Summen, die der Markt produzierte. „Der Beginn der Gier“, sagt Achenbach. „In dieser Phase habe ich mich völlig verloren. Ich schäme mich für meine Verführbarkeit.“

Achenbach: „Das war mein bürgerlicher Tod“

Über seine persönliche Zeitenwende ist viel geschrieben worden, er selbst hat die Biografie „Die Selbstzerstörung – Bekenntnisse eines Kunsthändlers“ veröffentlicht. Nach Jahren im Luxus brachten ihn gefälschte Rechnungen zu Fall. Die Witwe des Aldi-Erbens Berthold Albrecht erstattete Anzeige – Achenbach wanderte in den Knast. Geblieben sind 16 Millionen Euro Schulden. „Das war mein bürgerlicher Tod. Es ist ein unglaubliches Gefühl, geächtet zu sein.“

2018 kam er wegen guter Führung frei. Seither engagiert er sich als ehrenamtlicher Projektleiter im Verein „Kultur ohne Grenzen“, den er initiiert hat. Das Projekt geht jetzt ins fünfte Jahr. Auf dem Hof im Tönisfeld, den Achenbach sein Freund Pit Thunnissen zur Nutzung überlassen hat, sind verfolgte Künstler aus aller Welt willkommen, hier in Kaarst können sie wohnen und arbeiten. Aktuell sind unter anderem zwei Künstlerinnen aus der Ukraine da. Künftig will der Verein zusätzlich nicht etablierten jungen Kollegen unter die Arme greifen. Die Idee sei ihm während der Haft gekommen, berichtet Achenbach. Für ihn eine Möglichkeit, „mich mit der Gesellschaft zu versöhnen.“

Ein friedlicher Platz, eine gute Welt

Ein idyllischer Ort im Grünen ist nach Plänen des Architekten David Chipperfield entstanden. Neben einem „Garten der Sinne“ mit bislang 15 Werken der Gastkünstler, der im Laufe der Zeit zu einem fünf Kilometer langen Skulpturenweg anwachsen soll, lockt ab April auch ein Biergarten Besucher. Außerdem gibt es einen kleinen Zoo mit Pfauen, Gänsen und Schafen. Und eine Scheune voller Kunst. Ein friedlicher Platz, eine gute Welt.

„Heute bin ich viel glücklicher“: Helge Achenbach meidet Düsseldorf, ebenso Kunstmessen. Stattdessen hat er den Verein Verein „Kultur ohne Grenzen“ initiiert.
„Heute bin ich viel glücklicher“: Helge Achenbach meidet Düsseldorf, ebenso Kunstmessen. Stattdessen hat er den Verein Verein „Kultur ohne Grenzen“ initiiert. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Ideal für intensive Gespräche mit der Filmemacherin Birgit Schulz und Kamerafrau Marie Zahir. Beim Filmfest Köln konnte „Der Illusionist“ im vorigen Jahr Premiere feiern, gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW. Achenbach gefällt der Film, „weil er fair ist. Eine knallharte Analyse meiner Geschichte.“ Seine Freunde traten ebenso vor die Kamera wie Kritiker und Feinde. Er habe das Projekt von Anfang an auch als Chance begriffen, mit seiner Situation klarzukommen, überlegt Achenbach. Im neuen Leben habe er sich der radikalen Ehrlichkeit verschrieben.

Achenbach wurde 2014 am Flughafen verhaftet

Der Film beginnt mit dem Sturm Ela, Pfingstmontag 2014. Am Tag danach wurde Achenbach am Düsseldorfer Flughafen verhaftet, der 10. Juni 2014 war das. „Da wusste ich, mein Leben wird nie wieder wie früher.“ Am Ende der Doku steht ein Kameraflug über das Gelände in Kaarst. Achenbach, der Unverwüstliche, Achenbach, das Stehaufmännchen. Und wieso „Der Illusionist“? „Die Filmemacherin meinte, ich kann die Leute verzaubern.“

„Im Grunde bin ich wie Hans im Glück“, überlegt er manchmal. Aus einem schweren Klumpen Gold wird im Endeffekt – nichts. Außer zwei freien Händen. „Heute bin ich viel glücklicher.“ Düsseldorf meidet er, ebenso Kunstmessen. Dafür hat er im Knast begonnen, selbst zu malen, großformatige, farbige Acryl-Landschaften, die er „Ghost of Spirit/Geist der Freiheit“ nennt.

Achenbach kannte sie alle – von Georg Baselitz bis Andy Warhol

Das Seminar, das er für die VHS übernimmt, wird sich mit Künstlerpersönlichkeiten beschäftigen. Auf seinem Handy scrollt er Bilder von Gerhard Richter heran, alte Fotos, die er gespeichert hat, Schlagersänger Udo Jürgens ist dabei. Und Paloma Picasso. Achenbach kannte sie alle, von Georg Baselitz bis Andy Warhol und könnte noch stundenlang erzählen. Doch inzwischen wird draußen sein Typ verlangt. Termine eben, ein bisschen wie früher.