Essen. Annika Büsing ist das zweite Buch geglückt: „Koller“ erzählt die Abenteuer zweier Schwuler auf der Reise durch die Republik und ihre beider Leben.

Das berühmte, so schwere zweite Buch: Annika Büsing hat es geschafft. Nach ihrem furiosen, auch beim Publikum geradezu geliebten Debüt „Nordstadt“, für das die Bochumer Autorin aus dem Stand mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet wurde, nun also „Koller“.

Eigentlich heißt Koller Kolja, und der Roman drumherum passt fast ein bisschen zu gut in die Zeit: Es gibt ein lesbisches und ein schwules Paar darin, mit Ausflügen zum jeweils anderen Geschlecht. Das Querbeet im Garten der Liebe ist hier aber keine Programmschrift für Toleranz und Diversität, es kommt völlig natürlich daher. Und das liegt daran, dass Annika Büsing es wie schon im Debüt wiederum schafft, puls- und lebenswarme Figuren zu erfinden. Oder nach dem Vorbild des Lebens zu bauen, die Entstehung ist da ja weit weniger wichtig als das Ergebnis.

Annika Büsing kann noch mehr – schöne Sätze vor allem!

Noch wichtiger aber: Diese Autorin kann wirklich Geschichten erzählen – sie hat (oder erfindet, das ist doch wieder schnurzegal), sie hat jene 1001 Geschichten, von denen wir wissen, dass das Leben genau daraus besteht. Wendungen, Kehren, Abstürze, steile Aufschwünge, Glück und Entsetzen, Anziehungskräfte, Ausziehenswünsche.

Koller und Chris sind ein Paar, mit dem zu erleben ist, wie universell die Dramen des Findens und Niewiederloslassenwollens sind: Sie reisen auf den Spuren von Kollers illuster versprengter Familie durch die ganze Republik, in einem ollen Polo, der am Ende noch ramponierter aussehen wird. Leipzig, Ludwigsburg, die von der Flut in ein Katastrophengebiet verwandelte Eifel und Klütz kurz hinterm Ostseestrand sind die Stationen. Die Story dieser Familien- und Selbstbesichtigung ist mit Vor- und Rückblenden gekonnt erzählt, ohne Schema und mit vielen Tempo-Wechseln. Nicht selten auch filmreif, es gibt sogar eine Verfolgungsjagd, aber dann zeigt sich: Annika Büsing kann noch mehr. Schöne Sätze nämlich. Wie kleine Karfunkelsteine baut sie die in ihre Geschichten, Sätze wie „Narr und König haben eins gemeinsam: Was sie tun, tun sie für jene, die ihre Augen auf sie heften.“ So findet die Geschichte immer wieder auf die literarische Romanspur zurück, mit knappen, lakonischen Satzfolgen.

Annika Büsing erfinden Koikarpfen Klaus und die wilde Iranerin Daria

Und einem wahren Panoptikum an guten Figuren. Der schillernde Koller und sein Lebensmensch Chris in der Mitte – und drumherum echte Charaktere wie Chris’ empathielose Hochintelligenz-Mutter, Kollers Nonkonformisten-Oma, skurrile Gestalten wie der Koikarpfen-Klaus oder die Iranerin Daria, die Chris einmal fast geheiratet hätte, wenn nicht … aber das ist eine lange Geschichte, die Annika Büsing wie immer auf wenige Sätze verdichtet.

Lesen? Lesen!