Essen. Lese-Empfehlung: In ihrem Debütroman „Nordstadt“ beschreibt die Bochumer Autorin Annika Büsing eine zweifelnde, aber nie verzweifelnde Liebe.

Im Ruhrgebiet wohnt die Armut im Norden. Wenn also eine Bochumer Autorin wie Annika Büsing ihren Debütroman „Nordstadt“ nennt, darf man keine heitere Liebesgeschichte erwarten, auch wenn der Roman anfängt mit den Satz „Ich liebe dich“. Die Frau, die ihn sagt, ist Mittzwanzigerin, Schwimmmeisterin im Hallenbad. Schwimmen ist die Leidenschaft, die sie in jeder Hinsicht über Wasser gehalten hat. Was bitter nötig war.

Der Adressat des Geständnisses heißt Boris, ist arm und Krüppel. Seine Mutter war Impfgegnerin, zur Zeit der Kinderlähmung. Auch Nene, die Ich-Erzählerin, ist vom Leben wie vom Vater geschlagen. Das Schwimmen, auch im Wettkampf, hat dafür gesorgt, dass sie im Leben nicht untergeht. Aber dafür muss sie ganz schön strampeln.

Romanheldin mit starker Stimme

In drei großen Kapiteln baut die Autorin das Triptychon einer zweifelnden, aber niemals verzweifelnden Liebe. Sie gibt ihrer Romanheldin Nene eine sehr eigene, starke Stimme, in die man sich auf den ersten Seiten erst einmal reinlesen muss, die einen dann aber wie ein Strudel hineinzieht in den Roman.

Nüchtern, aber mit einer guten Portion Witz und eher film- als alltagsreifen Dialogen schildert sie die Tage im Schwimmbad und Frau Lübke mit der Badekappe, die früher bei Karstadt gearbeitet hat. Aber es geht vor allem um ihren liebenden Kampf mit Boris, den mit den wild machenden Pumaaugen, der sich ein Leben erfindet und sie belügt, immer wieder, nicht zuletzt, um seinen Stolz zu behalten. Beide sind durch ihre Geschichte latent beziehungsunfähig und versuchen es dennoch immer wieder miteinander, trotz gelegentlicher Wirbel und Untiefen. Das geht ans Herz.

Rückblenden und Triggerwarnung

Bei aller dunklen Grundierung ist Annika Büsing ein leichter, durch und durch junger Roman der fortgesetzten Selbstbehauptung gelungen, die wenig Rücksicht nehmen kann auf die Befindlichkeit der anderen. Lakonisch zieht er mit Sprüngen und Rückblenden seine Bahn und nimmt sein Publikum mit. Sogar eine Triggerwarnung gibt’s vorneweg: „In diesem Roman finden sich Schilderungen körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt“.

Was Büsing da beschreibt, dürfte die Lebenserfahrung vieler Menschen am Rande sein – nicht nur im Norden. Das wahrzunehmen, ist der größte Schrecken in diesem kleinen, großen Romans.

Annika Büsing: Nordstadt. Roman. Steidl Verlag, 128 Seiten, 20 Euro.