Düsseldorf. Lustknaben im Berner Oberland? Eine Neuinszenierung von Bellinis „Sonnamubula“ an der Rheinoper setzt auf Dekadenz. Das geht ziemlich schief.
Es war einmal ein Mädchen, das legte sich ohne Voranmeldung zu einem Unbekannten ins Hotelbett, mit kaum mehr bekleidet als einem hohen Sopran. Die Welt war entsetzt, der Verlobte sauer, die Ausrede fadenscheinig: Schlafwandeln! Und dann lag das Dorf, in dem alles spielt auch noch an einem Berg namens Jungfrau.
190 Jahre später würde man weder den Vorgang erwähnenswert finden noch eine Oper daraus machen. Aber es waren andere Zeiten. Bellinis „La Sonnambula“ wiederzubeleben, ist schwierig, der Stoff ist eine recht simple Eifersuchtsgeschichte mit jenem Schuss romantischer Geisterbahnfahrt, den die Epoche liebte. In Düsseldorfs Rheinoper lädt Regisseur Johannes Erath den Belcanto-Schinken mächtig auf, ein Beispiel für eine erdrückende Überlast von Extra-Strängen, die Handlung vernebeln, statt ihr Struktur, Kraft und Botschaft zu schenken.
„La Sonnambula“ in Düsseldorf: Bellini goes Babylon Berner Oberland
Die wohl herbeste aller Fehlentscheidungen: Aus den alpinen Hinterwäldlern macht Erath eine mondäne Spaßgesellschaft. Ein Käfig voller Eidgenossen, Babylon Berner Oberland. Das passt vorne und hinten nicht: Diese dekadente Riege, denen bleiche Lustknaben in kurzen Höschen das Schweizertum nur noch als Zitat auf Tabletts servieren, soll Interesse haben an einem tête-à-tête im Tiefschnee? Der Tabubruch funktioniert nicht, auch nicht in der tieflila Sofalandschaft, in der offenbar alle Welt dem titelgebenden Ausnahmezustand des Schlafwandelns huldigt.
Viele Filmprojektionen und eine Ebene, die vor allem Verwirrung stiftet
Die zentrale Fläche für diesen Zauberberg im Varieté-Kostüm verengt Bernhard Hammers Bühnenbild auf ein gutes Drittel der Gesamthöhe. Darüber waltet in einer mondsüchtigen Schicksalsebene großes Kino, manchmal auch ein Regie-Einfall. Immer öfter vertrauen Inszenierungen den eigentlich Handelnden nicht mehr, setzen auf die Wucht des Bewegtbildes. Bei Erath laufen wir Zuschauende perspektivisch Abfahrtski, es rotieren verschneiten Tannen, es alp- und wachträumt sich das Ensemble todessehnsüchtig durch grautönige Filmsequenzen in Bett und Schleier. Wer mit wem wann und warum…man sieht den Wald vor lauter Träumen nicht! Der reine Augen-Pulver-Schnee.
All der Aufwand ist nur darum bemerkenswert, weil er der Inszenierung die viele Langeweile nicht austreibt. Das Werk kann da nicht ganz aus der Pflicht entlassen werden. Bellinis Oper hat ein Handvoll erstklassiger Arien und Duette, dazwischen ist die Mühe der Ebene unüberhörbar: viel Konfektion der Zeit. Der gute Opernchor und Düsseldorfs Symphoniker unter Antonino Fogliani halten dagegen, differenziert und nach feinen Schattierungen suchend, wo die Textur des Werks oft Erwartbares vorlegt.
Staycey Alleaume als „Sonnambula“: Ihr Rheinopern-Debüt zeigt Stärken und Schwächen
Mit einiger Spannung war das Titelrollen-Debüt der Australierin Stacey Alleaume erwartet worden. Zweifellos eine reich beschenkte Sängerin, im warm timbrierten Lyrischen blühen ihre Gaben ungleich schöner auf als in den gefürchteten Koloraturen der Partie. Wie sich Alleaumes Amina in den vokalen Furor stürzt, ist auf den ersten Ohrenblick zwar entwaffnend, aber Alleaume setzt doch (gegen alles Mädchenhafte der Sopranpartie) allzu druckvoll bis zirkushaft auf jede Pointe, am Ende rutschen ihr Spitzentöne gar ins Kreischige.
Mit Poesie, aber hörbarer Enge und etwas gleichförmig im Klang agiert Edgardo Rocha als Aminas Bräutigam. Heidi Elisabeth Meier gibt der Rivalin Lisa durchaus aparte, leicht rauchige Facetten. Die eher undankbare Partie des vom nächtlichen Besuch überrumpelten Grafen adelt der baritonale Balsam des Bodgan Talos, stets eine Bank der Rheinoper.
Der Schluss-Beifall war üppig und eher kurz, als die Regie sich zeigte, fiel er gedrosselter aus.
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