Essen. Nach 31 Jahren ist es vorbei: Julia Schoch führt in ihrem neuen Buch „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ mutig und erklärend zum Auseinandergehen.
„Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich.“ So heißt es schon auf der ersten Seite. Das sagt die Autorin Julia Schoch, die zugibt, man könne den Roman durchaus als Autofiktion lesen. Es gehört Mut dazu, die eigene Geschichte zu offenbaren, behutsam zwar, dennoch klar. Kein Drama, ein leiser Untergang. „Am Anfang habe ich zu dir gesagt: Ich liebe dich“, sagt die Erzählerin zu dem Mann. Nach 31 Jahren, gemeinsamen Kindern, vielen Reisen und anderen Erlebnissen. So etwas geschieht jeden Tag hierzulande, hier wird erzählt, warum es dazu gekommen ist.
Eine junge Frau im Studium im deutschen Osten, brav besucht sie die Seminare und absolviert ihre Klausuren. Ein eigenwilliger Student tritt auf, erlaubt sich elegante Anzüge, kombiniert mit senffarbenen Plateauschuhen. Zwei Universen schieben sich zusammen, fasziniert voneinander, verzaubert. „Ich liebte dich sofort“, bekennt die Erzählerin im Rückblick.
Liebesgeschichte in der Nachwendezeit
Die Außenwelt ist in diesem Roman nur eine Randerscheinung, zwei sind im Zentrum, nur das zählt. Sie sind erst vorsichtig, flirten dann auf der sommerhellen Wiese am See, die Körper vibrieren. Das erste Zusammengehen zur Plattenbausiedlung, der erste leuchtende Moment, dem folgende Momente nachkommen, lange. Sie erzählen sich ihre Geschichten, breiten ihre Plagen aus. Die Liebesgeschichte ereignet sich in der Nachwendezeit, nachdem die Mauer zwischen Ost und West gefallen war. Es heißt: „Wir waren beide in einer Diktatur aufgewachsen. Wir kannten dieselben Filme, dieselbe Musik, wir hatten die gleiche Sehnsucht gehabt.“
Ihr Vater war lange bei der Armee, ein Staatsdiener, sagt sie. Sein Vater war ein regierungskritischer Künstler. Die Unterschiede werden herausgearbeitet, sie bewirken auch die Anziehung. „In Wahrheit war es so“, schreibt sie. „Indem ich mich dir und deiner Familie anschloss, konnte ich meine eigene beschämen. Ja, in gewisser Weise tilgte ich meine Herkunft durch die Liebe zu dir.“ In ihrer Anfangszeit wurde viel darüber diskutiert, die Zusammengehörigkeit war aber wichtiger. Sie lachten die erlaubte Kunst und Kultur im Osten aus, vor allem die Filme. „Unsere Liebe fing dort an, wo die Filme aufhörten.“ Weg aus dem Angepassten, dem Lächerlichen. Es ging um eigene Erwartungen, um Hoffnungen, um das Gemeinsame. Es gab ein Außen, das man irgendwie bewältigte, und ein Innen, das zum Liebesjahr des Jahrhunderts ernannt wurde.
Unterströmungen einer anderen Sehnsucht
Julia Schoch erzählt aus ihrer Perspektive, wie es sich entfaltete. Fragend tut sie das, ernüchternd. Verlorene Hoffnungen, Unterströmungen einer plötzlich anderen Sehnsucht, unterschiedliche Gefühlstemperaturen, und dass da auf einmal etwas zu brechen begann, das lange gehalten hatte. Anfangs genügte eine schmale Matratze zum Schlafen, später wurde das Bett immer breiter. Komfort war erwünscht, Anschaffungen wurden organisiert, es wurde weniger geredet, der Sex reduziert. Alles nur leise, aber zäh.
„Im Verschweigen, im verzweifelten Verschweigen erzählt sich das Leben“, heißt es. Zwei Menschen sind auf einmal nicht mehr die, die sie waren. Wie konnte das geschehen? Von wo wuchsen die kleinen Risse, die immer größer wurden? Die Erzählerin fragt sich, „wer von uns beiden der Einsamere war“. Später erkennt sie: „Wie es aussieht, ist die Emanzipation der Tod der Liebe.“
Ein Buch über Irrtum und Versagen
Ein ungeheuerlich ehrliches Buch über Irrtum und Versagen, etwas, das irgendwann keine Worte mehr hat. „Wir waren nur schlafgewandelt zwischen dem, was uns verloren gegangen war, und dem, was wir zurückgewinnen wollten.“ Eine Erzählung wie in einem Schwebezustand. Es bleibt offen, ob sie ihn wirklich verlässt. Ob alles schon weggesprochen ist, ob die Liebe nur noch eine klägliche Verzweiflung ist. Brillant.