Dortmund. Wieder wird am Ballett Dortmund Weltliteratur zu Tanz. Das Premierenpublikum Samstag feierte „Peer Gynt“ mit stehendem Applaus.

Getanzte Weltliteratur hat Dortmunds erfolgsverwöhnter Ballettchef Xin Peng Wang zu einem Markenzeichen seiner Kompanie gemacht – und oft selbst choreographiert. Seit Samstag glänzt nun ein Gast im Reigen des Genres: Edward Clugs „Peer Gynt“ wurde bei der deutschen Erstaufführung stürmischst gefeiert.

Literatur, der man die Worte nimmt, hat auch in Dortmund nicht immer schlüssig funktioniert. An der Gedankenwelt eines „Zauberbergs“ biss sich die sprachlose Welt des Tanzes die Zähne aus. Henrik Ibsen aber umspann in seinem Drama das ganze Bündel heiß brennender Gegenwartsthemen vom Kapitalismus bis zu den neuen (Ab-?!)Wegen klinischer Psychiatrie immer wieder mit dem Garn des Märchenhaften. Clug nutzt diese Technik mit einigem Raffinement, dieser Tanzabend ist hier im wörtlichen Sinn durchaus sagenhaft, dann wieder schmerzhaft unbequem. Er zeigt feinen Witz und schämt sich großer Gefühle nicht.

Edward Clugs Ballett „Peer Gynt“ wird in Dortmund vom Publikum bejubelt

Wer ist Gynt? Ein Kindskopf, gewiss, ein ewiges Kind auch, trotz aller Abenteuer, bestandener Prüfungen, Blessuren der Menschwerdung. Peer ist schon ein Mann von Welt, da lässt Clug Peers sterbende Mutter Ase (Giulia Gemma Manfrotto) mit kraftloser Hand ihren ungezogenen Jungen ein letztes Mal den blanken Hintern versohlen. Ein Augenblick nur, aber von anrührend-tragikomischer Menschlichkeit: eine Strafe aus Liebe.

Ohne nordische Folklore: Clugs „Peer Gynt“ wagt Ironie und scheut große Gefühle nicht

Die großen Tableaus nimmt Clug zupackender. Aber auch hier bricht er (nicht zuletzt dank Leo Kulas’ kitschfreier, eher im Heute als im Gestern siedelnder Kostümen) mit jener naheliegenden Folklore, die beim „nordischen Faust“ in der Luft liegt. Selbst in der ländlichen Dorfhochzeit, die Peer sprengt, ist alles nur noch Zitat. Norwegerpullover? Sind Tatoos auf der Brust der tanzenden Burschen! Und die dichten Wälder? Ein halbes Dutzend Stümpfe. Marko Japeljs Bühne ist nicht mehr als ein weißer Ring an dessen Anfang und Ende der Eingang in felsige Schwärze lauert – gewiss kein Zufall, dass dieses Massiv der Grabstätte Edvard Griegs auf Troldhaugen gleicht.

Vielfach ist Clugs „Gynt“ ein Plädoyer für Theatermagie im leeren, nahezu requisitenfreien Raum. Den füllt einem Ausnahmetänzer wie Javier Cacheiro Alemán mit enormer Intensität. Dickköpfiger Taugenichts, verzweifelter Weltenwanderer, noch dem Tod einen Funken Leben Abtrotzender: Alemán gibt Peer facettenreiche Körperlichkeit. Damit folgt er brillant Clugs Ansatz einer Stilvielfalt, die sich keine Grenzen setzt. Als Echo klassischen Balletts erkämpft sich Peer im pas de deux die Liebe. Sein totaler Zusammenbruch erwächst dagegen aus dem Tanzvokabular der Gegenwart. Die Frauen, die Peers Weg kreuzen, sind in Daria Suzis Solveig, Isabelle Maias Trollin und Paulina Bidzinska bestechend stark besetzt.

Hervorragendes Tanz-Ensemble: Wangs Kompanie in Dortmund begeistert

Das Ensemble zeigt so gut wie keine Schwächen. Die zuckende Unberechenbarkeit im Irrenhaus ist zeitgenössischer Tanz reinsten Wassers. Dortmunds Ballett-Truppe setzt ihn mit einer physischen Hingabe um, die darüber hinwegsehen lässt, dass nicht alles perfekte synchron gerät.

Für diesen „Peer Gynt“ bedient sich Clug komplett bei Grieg, doch weit über dessen Bühnenmusik zu „Peer Gynt“. Die Ohrwürmer aber ironisiert er mit Lust: Die „Morgenstimmung“ zeigt Peer in einem hoppelnden Kinderflugzeug, wie es vor Supermärkten steht. Wann trat Eroberungsdrang je so auf der Stelle?!

Einmal mehr begeisternd: Dortmunds Philharmoniker, mit denen Motonori Kobayashi zu einer extrem kristallinen Klangkultur findet, absolut geschlossen, nie schleppend – alles andere als Romantik von der Stange.

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KARTEN UND TERMINE

Edward Clug: Peer Gynt. Ballett an der Oper Dortmund. Dauer ca. 2 h 15 Minuten. Eine Pause.

Karten (16-52€) gibt es unter 0231-5027222 oder auf www.theaterdo.de

Aufführungen am 11., 17. und 25. Februar sowie am 1., 4. und 19. März. In dieser Saison dann keine weiteren Termine.

Uraufgeführt wurde Clugs „Gynt“ 2015 im Slowenischen Nationaltheater Maribor. Es ist für Dortmunds Ballett die dritte Arbeit des 1973 in Rumänien geborenen Choreographen.