Dortmund. „Petruschka“ und „Sacre du Printemps“: Den 50. Todestag Igor Strawinskys feiert Dortmunds Ballettchef Xin Peng Wang mit zwei großen Tanzstücken.
Den 50. Todestag Igor Strawinskys nimmt Dortmunds Ballettchef Xin Peng Wang zum Anlass, zwei große Tanzstücke des russischen Komponisten unter dem schlichten Titel „Strawinsky!“ auf die Bühne zu stellen. Auf dem Programm stehen eine eigene neue Interpretation des „Petruschka“ und die mittlerweile Kultstatus genießende Deutung des „Sacre du Printemps“ durch den rumänischen Choreografen Edward Clug.
Zu erleben ist ein Abend mit zwei der musikalisch stärksten Ballettstücke des 20. Jahrhunderts und zwei zugleich überaus kreativen Auseinandersetzungen mit den großen, gleichwohl knapp und konzentriert gefassten Werken. Die Geschichte Petruschkas, der russischen Variante unserer Kasperle-Figur, verlegt Xin Peng Wang vom folkloristischen Jahrmarkt in ein amerikanisches Straßenszenario des frühen 20. Jahrhunderts, wobei er sich in Bild, Tempo und Bewegung an Vorbildern des aufkommenden Films orientiert.
Vorzüglich tanzt Javier Cacheiro Alemán als Petruschka
Beschleunigungen im Kintopp-Stil und mechanische Abläufe erinnern an Chaplins „Modern Times“ und die Titelfigur präsentiert sich nicht als melancholische Puppe vom russischen Jahrmarkt, sondern ist Edward Todds hintergründigem Anti-Comic-Helden „Joker“ nachgebildet. Der buhlt natürlich nicht mit einem bösen „Mohren“ um die Gunst der „Ballerina“, sondern mit einem mafiösen „Chef“. Mit dem Ergebnis, dass er von einer Gang des Bosses unter dem Schutz eines korrupten Cops zusammengeschlagen wird und nur noch auf Rache sinnt.
Damit entzieht Xin Peng Wang dem Stück eine dicke Dosis an märchenhafter Unverbindlichkeit, mildert aber auch die Empathie, die das Schicksal der an sich liebenswerten Puppe auslösen sollte. Gleichwohl entsteht aufgrund der cineastischen Einfärbung eine spannende Gratwanderung zwischen Realität und Fantasie. Vorzüglich getanzt von Javier Cacheiro Alemán als Petruschka, Simon Jones als elegant-kalter „Chef“, Amanda Viera als anmutiges Mädchen und Márcio Barros Mota als Polizist. Nicht zu vergessen das engagiert auftretende Ensemble und Motonori Kobayashis musikalische Unterstützung mit den Dortmunder Philharmonikern.
Edward Clugs „Sacre du Printemps“ erfordert eine Umbaupause von 45 Minuten
Ein sich mehrmals absenkender Schacht bildet die Projektionsfläche für die Videosequenzen. Beeindruckt Hartmut Schörghofer bereits mit diesem für einen Ballettabend ungewöhnlich aufwändigen Bühnenbild, erfordert Edward Clugs „Sacre du Printemps“ gleich eine Umbaupause von 45 Minuten. Dabei bewegen sich die jeweils sechs Damen und Herren zunächst in einem schlichten leeren Raum, finden sich zu Paaren in diversen Konstellationen, bis eins der Mädchen zum Opfer für die Anbetung der Götter bestimmt wird.
Jetzt ergießt sich eine reinigende Sintflut über die Tänzer und setzt die Bühne unter Wasser. Der Bewegungsradius wird auf dem glitschigen Untergrund eingeschränkt, die Arbeit mit Oberkörper, Armen und Händen rückt in den Vordergrund, Körper gleiten wie Schwäne über den Wasserfilm. Das hat seinen originellen Reiz, nimmt den Bewegungen aber ihre kompromisslose Härte.
Interessant, dass auch Motonori Kobayashi am Pult der Dortmunder Philharmoniker die rhythmischen und dynamischen Akzente weit weniger scharf ausspielt als möglich und auch nötig. Trotz der inspirierten Kreativität, die Clugs Choreografie auszeichnet, verliert das Werk durch das Wasserballett an explosiver Energie. Hervorzuheben ist Sae Tamura als Opfer, das sich nur widerwillig mit seiner Bestimmung abfindet.
Begeisterter, lang anhaltender Beifall für einen spannenden, hochwertigen Ballettabend.
Dauer: ca. 2.15 Stunden, eine (lange) Pause. Die nächsten Aufführungen im Dortmunder Opernhaus: am 10., 19., 23. und 26. Dezember sowie am 2. und 21. Januar (Karten-Telefon: 0231/502 72 22; www.theaterdo.de).