Bochum. Am Bochumer Schauspielhaus inszeniert Guy Clemens die Wohnzimmerschlacht von Edward Albee – riesiger Jubel bei der Premiere im ausverkauften Haus.

Am Ende halten sie sich sogar an den Händen: George und Martha, die beiden verbissenen Streitrösser in Edward Albees berüchtigter Wohnzimmerschlacht „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ sitzen nach langer versoffener Nacht auf dem Sofa und berühren einander zärtlich. All der Hass hat sie derart müde gemacht, dass sogar ein Anflug von Zuneigung wieder möglich scheint. Es sind überraschend sanfte Noten, die Regisseur Guy Clemens dem Klassiker im Bochumer Schauspielhaus zugesteht.

Die spannende Frage bei jeder Aufführung dieses unverwüstlichen Ehekriegs ist ja: Gibt es zwischen George und Martha noch so etwas wie Liebe? Schlummert unter all den bösen Schimpftiraden sogar ein letzter Rest physischer Anziehung? Die unvergessliche Verfilmung mit Richard Burton und Elizabeth Taylor, an der sich jede Version dieses Ehe-Fights messen lassen muss, beantwortet die Frage mit: Nie im Leben! Fast 60 Jahre später ist nun die Zeit reif, den famosen Dreiakter als eine Art Liebesgeschichte zu erzählen, was ansehnlich gelingt.

Dorothee Curio baute ein spartanisches Bühnenbild

Selbstverständlich schenken sich George und Martha auch in der Bochumer Wiederauflage nichts. In dem recht spartanisch eingerichteten Bühnenbild von Dorothee Curio, dessen zerfetzte Ränder so aussehen, als habe hier eine Abrissbirne ganze Arbeit geleistet, fliegen Schimpfwörter so tief wie Cognacflaschen. Die gut gefüllten Getränkeschränke, die von innen leuchten, sind die einzigen nennenswerten Requisiten und erzählen viel von einer Zeit, als dauerhaftes Qualmen und das endlose Trinken von „Brandy, Punsch flambiert und siebenfarbigen Drinks“, wie es bei Albee heißt, zum guten Ton gehörten.

Hier holen sich der Geschichtsprofessor George und seine etwas ältere Frau Martha zu vorgerückter Stunde Besuch ins Haus: den jungen Biologen Nick und seine Gattin mit dem sprechenden Namen Honey. Beide werden in die grausamen Spiele, welche die Gastgeber in dieser unheilvollen Nacht veranstalten, mit hin­eingezogen. Auf dem Trümmerfeld ihrer Ehe sind George und Martha alle Mittel recht, um den anderen vorzuführen, und manche Schläge schmerzen sehr.

Jele Brückner, Konstantin Bühler, Victor IJdens und Anne Rietmeijer begeistern

Es begeistert immer wieder, wie sorgfältig dieses Stück gebaut ist und wie wundervoll die Dialoge (in der Übersetzung von Alissa und Martin Walser) klingen. Eine leichte Ehrfurcht vor dem Stoff ist Guy Clemens’ Einrichtung anzumerken. Der Erfolg steht und fällt mit der Besetzung, und da ist vor allem Jele Brückner ein Glücksfall. Zwischen aggressiv, giftig und verletzlich schwankt ihre Martha souverän. Lustvoll ordinär keift sie über die Bühne und sackt im nächsten Moment zusammen wie ein Häufchen Elend. Im George des stark aufspielenden Konstantin Bühler hat sie einen schwer zu bezwingenden Gegner: Hinter den vielen Albernheiten, die George wie nebenbei fallen lässt, lauern Abgründe. Wie ein Boxer ist er unablässig in Bewegung, seine Schwächen kaschiert er mit gehörigem Sarkasmus.

Eher undankbar dagegen sind die Rollen von Nick und Honey, und doch holen Victor IJdens und Anne Rietmeijer viel aus ihnen heraus. Den Jungakademiker gibt IJdens als sympathischen Tropf, während Rietmeijer ihrer einfältigen Honey eine Menge Spitzbübigkeit verleiht. Riesenjubel im ausverkauftem Saal.