Hagen. Konstruktives Gegeneinander: „Zwischen Welten“, das neue Buch von Juli Zeh und Simon Urban, thematisiert die drohende Spaltung der Gesellschaft.
Alt gegen Jung. Schwarz gegen Weiß. Mann gegen Frau. Stadt gegen Land. Ost gegen West. Aktivist gegen Zauderer. Elite gegen Volk. Deutschland streitet. Immer schriller, immer unbarmherziger, so scheint es. Über den Ukraine-Krieg, den Klimawandel, über Rassismus, Sexismus, Feminismus. Debatten eskalieren in den sogenannten sozialen Medien, manipulieren Entscheidungsprozesse, spalten die Gesellschaft, gefährden die Demokratie. Darum geht es im neuen Roman „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban.
Stefan und Theresa, die beiden Zentralfiguren, kennen sich von der Uni. In Münster lebten sie in einer WG, diskutierten nächtelang am Küchentisch über Gott und die Welt und über Martin Walser. Sie waren die besten Kumpel und sahen die Welt durch die gleiche Brille.
Zwei Welten prallen aufeinander
20 Jahre später treffen sich die beiden per Zufall wieder. Sie ist Biolandwirtin, er stellvertretender Chefredakteur und Kulturchef der bundesweit bedeutenden Wochenzeitung „Bote“. Sie lebt auf dem Dorf in Brandenburg, er im mondänen Hamburger Jetset. Sie hat zwei Kinder, er ist Single. Er setzt Gendersternchen aus Überzeugung, sie melkt morgens um vier die Kühe. Zwei Welten prallen aufeinander.
Die Zufallsbegegnung endet im Streit, aber anschließend tauschen sich die beiden aus über Whatsapp, E-Mail und – weil ihnen das später zu entdeckbar erscheint – verschlüsselt und über andere Messengerdienste aus.
Briefroman mit digitaler Note
„Zwischen Welten“ ist ein moderner Briefroman, der mit den Defiziten der digitalen Kommunikation spielt: Die Whatsapp-Dialoge kommen hektisch, kurz und manchmal missverständlich daher, da helfen auch keine Emojis. Die Mails bieten Raum für reflektierte, differenzierte Erklärungen.
Stefan, jetzt 46, und Theresa, jetzt 43, erklären ziemlich viel. Er hält Kühe für Klimakiller, sie sagt: Wer Kühe verbieten wolle, sollte vorher erst mal selber welche besitzen. Stefan geht Probleme auf der Meta-Ebene an, er ist „woke“, Haltungsjournalist, Weltverbesserer, weiß, was die Leute interessiert. Sein Credo: „In Zeiten von Verschwörungstheorien, Rassismus, Sexismus und Russophilie sind Journalist*innen der Kitt, der Gesellschaft und Fakten zusammenhält.“ Wenn er selbstverliebt über White Supremacy und intersektionellen Feminismus fabuliert, schwebt er auf der intellektuellen Wolke Nr. 7.
Dem Biohof geht es schlecht, die Dürre killt das Korn
Jedenfalls sieht seine alte Freundin das so. Theresa lebt in der harten Realität, ihrem Biohof geht es schlecht, die Dürre killt das Korn, der Staat lässt sie im Stich, die Gesellschaft auch, weil sie Landwirte für subventionsgierige Abzocker hält. 28 Prozent in ihrer Gegend wählen AfD. „Irgendwie spielt ihr in eurer kleinen Blase doch ein Spiel, das nur euch selbst betrifft, und verwechselt es mit der Wirklichkeit“, blafft sie Stefan an.
Sie radikalisiert sich, schließt sich sogar einer extremen Öko-Bewegung an, die Gülle in Lebensmittelkonserven füllt und dann heimlich in Supermarktregale schmuggelt. „Wer einen Scheiß bezahlen will, der bekommt eben einen Scheiß“, sagt Theresa.
Simon Urban mit dem Förderpreis des Literaturpreises Ruhr ausgezeichnet
Simon Urban („Plan D“ und „Wie alles begann und wer dabei umkam“) stammt aus Hagen. Seine ersten journalistischen Texte veröffentlichte er hier und wurde mit dem Förderpreis des Literaturpreises Ruhr ausgezeichnet. Heute lebt der 48-Jährige mit Familie in Techau, Ostholstein. Juli Zeh schrieb mit „Unterleuten“ und „Über Menschen“ Bestseller. Ihr Dauerthema: die Spaltung der Gesellschaft. Zeh ist SPD-Mitglied, ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht Brandenburg und eckt an.
Beide Autoren beteuern, dass sie den Roman gemeinsam geschrieben haben, keiner von ihnen also exklusiv in die Rolle von Theresa oder Stefan geschlüpft ist. Zeh spricht sogar von einem gemeinsamen „Schreibgehirn“.
Aber wer die Biografien der beiden mit der Geschichte spiegelt, findet Überschneidungen. Juli Zeh (48) lebt in der Provinz in Brandenburg und schaltet sich immer wieder in gesellschaftspolitische Debatten ein, etwa als sie im April 2021 zu den Initiatoren eines Offenen Briefes gehörte, in dem sich Prominente gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aussprachen. Simon Urban studierte in Münster, lebte eine Zeit lang in Hamburg und schreibt auch journalistische Texte.
Gesellschaftsroman der Stunde
Provozieren wollen Zeh und Urban nicht, sagen sie. Tun sie aber trotzdem. Allerdings sind es ja echte Argumente, die Stefan und Theresa austauschen. Ja, manchmal auch Gemeinheiten und Beleidigungen, unterm Strich gehen beide jedoch zivilisiert, wertschätzend und respektvoll miteinander um. Ganz ohne Shitstorm. Und ganz anders als es die moderne Aufmerksamkeitsökonomie erfordern würde.
Der Roman protzt nicht mit Sprachgewalt und überladener Metaphorik. Umso greifbarer ist sein Inhalt. Er präsentiert unterschiedliche Lebenswelten auf Konfrontationskurs, wortwitzhaltig, spannend – und ohne Happy End. Das ist schön erzählt und entwickelt sogar Dramatik.
Zeh und Urban präsentieren kein Geheimrezept
Gegen die Spaltung der Gesellschaft präsentieren Zeh und Urban kein Geheimrezept, sie polarisieren ja selbst. Sie legen aber die Mechanismen einer spalterisch-zerstörerischen Debatte offen, um damit auf die Gefahren für unsere Demokratie hinzuweisen. Das ist konstruktive Provokation. Und das macht „Zwischen Welten“ zum Gesellschaftsroman der Stunde.
Darüber wird Deutschland streiten, ganz bestimmt.
Juli Zeh/Simon Urban: Zwischen Welten. Roman. Luchterhand Verlag, 444 S., 24 €.