Essen. „Das glückliche Geheimnis“ von Arno Geiger ist ein Enthüllungsroman, der von ihm selbst handelt. Erfolgsautor und Müllsammler in Wien...

Ein unvorstellbares Bild der schriftstellerischen Vater-Generation: Ein Böll, ein Lenz, ein Walser kopfüber im Altpapiercontainer, nur noch die Beine schauen wippend heraus. Kein Versehen! Eine Manie mit Methode, nämlich Tag für Tag eine Melange aus Existenzsicherung (im Müll jede Menge antiquarischer Bücher) und der Sucht nach einem Paralleluniversum namens Wegwerfgesellschaft. Arno Geiger macht nun öffentlich, dass dies seine Welt war, für Jahrzehnte.

Erst spät, da war der Österreicher schon eine große Nummer im deutschsprachigen Literaturbetrieb, sagt seine Gefährtin ihm, dass diese abgründige Tätigkeit ein reines Geschenk für den Schriftsteller sei, etwas, das jedem Menschen gut tue, „Das glückliche Geheimnis“.

Arno Geigers „Das glückliche Geheimnis“ enthüllt das Doppelleben des Erfolgsautors

Es erwächst in diesem Roman, in dem der Ich-Erzähler und der Autor trotz aller bekennenden Stilisierung derselbe sind, zunächst aus ökonomischer Not. Geiger (später Träger des Deutschen Buchpreises für „Es geht uns gut“) ist der verwahrlost wirkende Bursche, der seine „Runde“ in Wien macht, Container nach Schätzen zu durchsuchen. Erkannt wird er nicht einmal berühmt, als er schon ein Dutzend Auszeichnungen und Hunderte Lesungen auf dem Buckel hat. Wer vermutete einen begnadeten Erzähler im Müll, wo man im schönsten Wortsinn „kein Ansehen“ genießt?! Ein Schmuddel-Tabu wird literarisch gebrochen: „Nachdem ich so lange die Freude des Verschweigens ausgekostet habe, nehme ich mir jetzt die Freiheit des Erzählens.“

Dass sich Lesende hier wie Voyeure fühlen, da sie den Gestank, die Wunden, das Intimleben, die Eitelkeiten und das Hadern eines werdenden Autors serviert bekommen, verhindert Geiger gewissenhaft. Zu deutlich spricht das Befreiende dieses Outings aus seinen Zeilen – nicht immer uneitel, oft rasant thesenhaft, komisch zuweilen, aber auch von zarter Melancholie.

Tabu und Enthüllung: Arno Geiger erzählt von sich, mit dem Kopf im Altpapiercontainer

Was dieser junge Mann, der voller Ängste ist, bald erkennt: Nicht die geldbringenden Erstausgaben beschenken ihn als Schriftsteller, es sind die zahllosen Lebenszeugnisse, die Briefe, die banalen Botschaften Unbekannter, die die Tonnen als „Filiale des Friedhofs“ bergen. „Ich kenne Glück und Kummer aus zwei Jahrhunderten“, schreibt Geiger, „und bin, glaube ich, weniger überrascht als andere, wie merkwürdig die Menschen sind.“

Geigers gelüftetes Geheimnis, um das herum wir vielen Figuren seiner Erfolgsromane begegnen, transportiert eine zentrale Botschaft: Hier entkam einer glücklich dem Käfig des Kunst-Schreibens, weil er nicht abließ, unbekannten Bodensatz eines fremden, sehr irdischen Daseins zu atmen. Wie wichtig es sein kann, ein Leben zu haben neben dem Schreiben, davon erzählt dieses Buch bestechend intensiv.

Arno Geiger. Das glückliche Geheimnis. Hanser, 237 S., 25€