Arno Geigers neuer Roman „Unter der Drachenwand“ erzählt vom Kriegsjahr 1944 im Salzkammergut.
Wie lässt sich vom Krieg erzählen? Vielleicht, indem man ihn ins Dorf lässt: Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger schickt 1944 einen Verwundeten aufs Land, ins Dörfchen Mondsee im Schatten der Drachenwand – und vermittelt so anschaulich wie tief berührend, wie Europas Verwüstung bis in entlegendsten Winkel dringt.
Der erst 24 Jahre alte Wehrmachtssoldat Veit Kolbe war LKW-Fahrer in Russland und hat nun eine Beinverletzung, die nur langsam heilt, einen gebrochenen Kiefer, eine Angsstörung. Langsam fügt er sich ins Dorfleben ein: besucht seinen Onkel Johann, den Postenkommandanten. Hütet mit dem „Brasilianer“ nachts das Gewächshaus mit exotischen Pflanzen. Steigt der „Lehrerin“ hinterher, die aber mit ihrer Schar verschickter Wiener Schülerinnen genug zu tun hat. Und lässt sich schließlich von der „Darmstädterin“, seiner Zimmernachbarin mit dem kleinen Baby, bekochen – so lange, bis sie auch für die Leser einen Namen trägt: Margot.
Arno Geiger, 1968 in Wien geboren, erhielt 2005 den Deutschen Buchpreis und seither viele weitere. 2011 erschien mit „Der alte König in seinem Exil“ das bewegende Protokoll der Demenzerkrankung seines eigenen Vaters. Auch im aktuellen Roman geht Geiger sehr dicht heran. Veits Erzählstimme ist holprig und umständlich, und die das Tagebuch ergänzenden Briefe, mit denen Geiger die Welt ins Dorf holt, scheinen authentisch der Zeit entsprungen. Da schreibt etwa Margots Mutter aus Darmstadt oder der Wiener Jude Oskar Meyer, den es nach Budapest verschlägt.
Das Ringen um Normalität in einer aus den Fugen geratenen Welt aber veranschaulichen vor allem Veits seelische Verheerungen, die ihn Margots Liebe zunächst kaum glauben lassen.
Zudem sickert das Gift des Krieges ins Dorfglück: Eines der landverschickten Mädchen, Nanni, wird tot am Fuße der Drachenwand gefunden. Der kriegskritische „Brasilianer“ sitzt in Haft. Veits Onkel wird erschossen – eine Volte, die auf die Frage nach Gut und Böse zielt.
Die Verzerrung des eigenen Wesens
„Wie weit die Verzerrung des eigenen Wesens schon vorangeschritten ist“, hatte Veit Kolbe zu Beginn des Jahres 1944 geschrieben, „merkt man erst, wenn man wieder unter normale Menschen kommt“. Am Endes des Jahres und des Romans ist auch das Ende des Krieges absehbar. Und das Dorf Mondsee scheint Veit wieder auf normale Größe geschrumpft, nicht mehr ins Groteske verzerrt durch diesen „in immer dunklere Jahre hineinführende und alles Zivile aushöhlenden Spuk“.
Arno Geiger: Unter der Drachenwand. Hanser, 480 S., 26 Euro