Dortmund. Ein alter Meister deutet ein altes Meisterwerk. Der 78-jährige Ton Koopmann dirigierte Händels „Messiah“. Beglückter Jubel Dortmunds Konzerthaus.

Unter den wegweisenden Persönlichkeiten der Alte-Musik-Bewegung ist Ton Koopman immer eine Größe für Kenner geblieben. Vielleicht war der Schatten (und die Dominanz auf dem Plattenmarkt) von Dirigenten wie John Eliot Gardiner einfach zu groß.

Vielleicht aber strebte dieser kleine, fast immer lächelnde, leicht kauzig wirkende Mann vom Ijsselmeer auch gar nicht nach dem Rampenlicht. Wie er aufgeht – auch mit 78 Jahren bescheiden und absolut entschieden zugleich – in der Barockmusik, das durften Montag Abend 1500 Lauschende beglückt erfahren bei Georg Friedrich Händels „Messiah“.

Was ein junger Dirigent von Koopman lernen könnte? Dass es in einer Meisterpartitur keine Noten zweiter Klasse gibt. Alles hat Gewicht, Bedeutung, tieferen Sinn in diesem Dirigat, und die Transparenz der Akustik in Dortmunds Konzerthaus trägt die glasklare Artikulation des vor 30 Jahren von Koopmann gegründeten Amsterdam Baroque Orchestra beglückend bis in den oberen Rang. Die Besetzung sucht die Nähe zur Dubliner Uraufführung von 1742, das Gegenteil eines gewaltigen Apparats also; in Dortmund sind es 21 Choristen, 20 Orchestermusiker, vier Solisten und Koopmann himself. Dass an diesem Abend auch Händel-Verehrern Ungekanntes zu Ohren kommt, ist nicht zuletzt Koopmans Verdienst. Der akribische Musikphilologe hat nach ausgiebigem Quellenstudium vor nicht allzu langer Zeit eine neue Fassung des „Messiah“ ediert.

Dortmunds Publikum bejubelt Händels Messias. Ton Koopman dirigierte

Was man noch lernen könnten? Dass alle Musik im Barock Sprache ist. Es ist Seufzen und Sehnen, ist inniges Gebet und zorniger Ausbruch. Auch darum gehen diese mehr als 140 Minuten unter die Haut; und mindestens wie das Orchesters, das Lichtstrahlen sendet, aber auch die Schatten des Todes expressiv erfühlt, ist es der Amsterdam Baroque Choir, der uns bannt.

Koopman hat dieses Vokal-Ensemble enorm treffsicher besetzt. Wir erleben bei diesen Sängern die musikalische Quadratur des Kreises: Es waltet, totale Homogenität, zugleich nehmen wir fasziniert die Individualität jeder Stimme wahr. Sachtes Klagen (wenn auch auf hohem Niveau) sei allein bei den Solisten gestattet. Vor allem Maarten Engeltjes ist als Altus nicht mehr allen Forderungen gewachsen. Wo die Partitur Tempo und Erregung fordert, schleichen sich – pardon – die Töne einer aufgescheuchten Matrone ein. Elisabeth Breuers Sopran hatte unscharfe Momente. In seiner lyrischen Spiritualität war Tilman Lichdi eine Säule der Aufführung – erst recht Andreas Wolf, der „The trumpet shall sound“ zum Anlass nahm, alles voluminöse, herrliche bronzene Edelmetall seines wuchtigen Bassbaritons zum Leuchten zu bringen. Enormer Beifall.