Dortmund. Rebell auf dem Rückzug? Nicht Exzentrik regiert allein mehr das Wirken von Teodor Currentzis. In Dortmund dirigierte er packend Verdis „Requiem“.

Es muss niemand mehr den Kopf einziehen bei der Ankündigung, dass Teodor Currentzis das Verdi-Requiem dirigiert. Der Klassikrebell hat einen Teil seiner Exzentrik abgelegt, verzichtet auf Überspanntheiten, die verzerrend wirken. Er stellt sich nicht mehr vor die Musik, auch wenn er hin und wieder vom Dirigentenpult hinabsteigt, um Chor und Orchester von MusicAeterna näher zu sein. Im Konzerthaus Dortmund trat sein lebendiger Musizierstil jetzt intensiver denn je hervor.

Noch immer ist Currentzis der Mann für Extreme. Er spannt Verdis tönendes Kolossalgemälde vom Jüngsten Gericht radikal zwischen Himmel und Hölle auf, nicht weniger dramatisch als die Darstellungen von Tintoretto oder Rubens. Aber die Klanggewalten, die er entfesselt, selbst die niederschmetternde Wucht des „Dies Irae“ führen nicht zum lärmenden Exzess. Fortissimo-Ballungen bleiben kultiviert und durchhörbar, den Schreckensvisionen der Apokalypse zum Trotz. Wie aus anderen Welten tönt die Bitte um Frieden herüber.

Im „Requiem“ dieser Tage hat die Bitte um Frieden eine andere Dimension

Currentzis und MusicAeterna beginnen im äußersten Pianissimo, mystisch raunend. Glühend im „Kyrie“ der Wunsch nach Erbarmen, intoniert von vier opernerfahrenen Gesangssolisten, die sich tapfer gegen das Orchester durchsetzen, obschon Currentzis kaum Zurückhaltung praktiziert. Zarina Abaeva (Sopran), Eve-Maud Hubeaux (Mezzo), Andreas Schager (Tenor) und Matthias Goerne (Bariton) setzen dem Monumentalwerk die Gloriole auf, mit bittenden, klagenden, auch reuevoll zerknirschten Episoden.

Gefilde der Nicht-Musik werden ebenfalls gestreift: im tonlosen Stammeln des Chores, in abrupten Generalpausen, aus denen entsetzliches Schweigen dringt. Dem Gebet der Desdemona gleich, fleht der Sopran im „Libera me“ um Erlösung. Das hallt nach an einem Konzertabend, an dem nicht alle Musikerinnen und Musiker auftreten durften. Sie waren suspendiert worden, kriegsfreundlicher Äußerungen wegen.