Essen. Gabentisch voller Literatur, zum Verschenken, und auch zum Selberblättern: Hier sind unsere Literatur-Empfehlungen, vom Kinder- bis zum Sachbuch.

Neue Erkenntnisse über den Sonnenkönig Ludwig XIV., eine überraschende Reise zu einem Inselparadies und ein Buch, das die allerschönste Umarmung sucht: Auf dieser Seite finden Sie Bücher, die Sie getrost auf den Gabentisch legen können.

Bildschön

Eigentlich sollte dieser Band Mitte August zum 90. Geburtstag von Jean-Jacques Sempé erscheinen – doch kurz zuvor starb dieser Großmeister der leichten Feder. Jetzt ist es also ein Erinnerungsstück, und was für eines! Eine Bestenlese dieses Zeichners, der offenbar mit jedem neuen Blatt die Welt und die wunderbaren Momente darin aufs Wärmste umarmen, aufs Zärtlichste kitzeln wollte. Im Detail jedem Perfektionsstreben spottend, aber in der Stimmung immer perfekt. So sehen wir Menschen den Urlaub, das Freisein, die Sonne genießen. Fast durchweg Pastelltöne, die Striche oft zart, kurz vor der Durchsichtigkeit: Dorffeste, Partys, Strandszenen. Oder auch die dralle Radfahrerin, die sich zu einem Nickerchen in den Schatten des Baums gelegt hat, der Tag war so heiß… Zauberschön bis zum letzten Blatt, auf dem es dann sogar schneit und wir hinter einem von 16 Fenstern den kleinen Nick zu erkennen glauben.

Historie deluxe

Philip Mansel - König der Welt
Philip Mansel - König der Welt © P.ropyläen - Verlag

Da glauben wir alles zu wissen über den Sonnenkönig Ludwig XIV. Aber der britische Historiker Philip Mansel behauptet sogar, dass er „L’état c’est moi“, also „Der Staat bin ich“, genauso wenig gesagt hat wie Marie Antoinette ein Jahrhundert später den Satz mit dem Kuchen fürs Volk. Der Bourbone, der mit vier Jahren König wurde, war ein Imperialist, ein Förderer der Hochkultur, er zerrüttete mit seinen ewigen Kriegen und Palastbauten die Staatsfinanzen (was sich bis zur Französischen Revolution nicht mehr änderte), spielte höchst erfolgreich das Schach der Diplomatie in Europa und hörte mehr auf die Frauen um ihn herum als wir bisher ahnten. Ein großes Zeit-Panorama, das alle Facetten dieser erstaunlichen Persönlichkeit beleuchtet, hoch unterhaltsam und kenntnisreich zugleich.

Fürs Herz

Lukas Sam Schreiber - Aitutaki Blues.
Lukas Sam Schreiber - Aitutaki Blues. © goldmann

Claudia Schreiber, eine Fernsehjournalistin, die zur Romanautorin geworden war („Emmas Glück“) und das fantastische Kinderbuch „Sultan und Kotzbrocken“ geschrieben hat, wollte gerade mit ihrem neuen Roman auf Lesereise gehen, da bekam sie die Diagnose Alzheimer. Sie wird also zunehmend eine andere, als ihr Sohn Lukas Sam ihr den Lebenstraum erfüllt. Als sie nämlich Mitte der 80er-Jahre einmal fürs Radio die „bunte“ 30-Sekunden-Nachricht texten sollte, dass eine Frau zum neuen Oberhaupt der Insel Aitutaki gewählt worden sei, begann sie von diesem Inselparadies zu träumen. Es hat 1900 Bewohner und liegt im Pazifik, am anderen Ende der Welt. Lukas Sam Schreiber hat eine lakonisch-ironisch-zärtliche Art, die Veränderung seiner Mutter zu beschreiben, mit ihr umzugehen. Doch der unaufhaltsame Verfall einer Persönlichkeit geht einem schwer ans Herz. Immerhin: Das Ende ist ein Triumph.

Jugendbuch deluxe

Sarah Jäger - Schnabeltier deluxe.
Sarah Jäger - Schnabeltier deluxe. © Rotfuchs

Kim, blitzgescheit, hat ein Problem mit ihrer Impulskontrolle und Aggressionen überhaupt. Und sie hat jetzt noch eine Chance, die Schule abzuschließen – aber leider auf einer Gesamtschule in der Provinz. Sie schreibt sich mit Leuchtstift (orangefarben) „Du vermasselst das nicht“ auf den Unterarm. Sie hat auch noch die Wohnung der Mutter demoliert und jobbt dann in einer Tankstelle, um den Schaden zu bezahlen. Am Ende wird Kim, die uns ihre Geschichte erzählt, Teil eines Freundschafts-Trios sein. Und ist immer noch eine Rebellion auf zwei Beinen, mit glasklarem Blick auf die Wirklichkeit, der in kantenscharfen Sätzen und frechfröhlichen Dialogen dieses Romans mündet.

Politik

Serhii Plokhy - Die Frontlinie.
Serhii Plokhy - Die Frontlinie. © Rowohlt

Serhii Plokhy, Geschichtsprofessor in Harvard, hat schon eine fundamentale Geschichte der Ukraine vorgelegt („Das Tor Europas“); nun analysiert er kenntnisreich wie kaum ein Zweiter, die Geschichtspolitik Wladimir Putins, die in der Führungselite Russlands längst Staatsdoktrin geworden ist. Dieser Geschichtsverfälschung, für die das Wort „Narrativ“ eine unverdiente Adelung wäre, setzt Plokhy Fakten entgegen. Und zwei überraschende Essays markieren das Reaktorunglück von Tschernobyl als Wendepunkt hin zum Zerfall der Sowjetunion. Es habe die Unfähigkeit der Technokratie erwiesen und schließlich auch Widerstand gegen die Zentralmacht in Moskau angestoßen.

Humor, heimatnah

Klaus-Dieter Krause hat sein Journalistenleben im nördlichen Ruhrgebiet zugebracht, nun schreibt er noch aus Lust und Laune. Also mit viel Lust und immer guter Laune. Er nennt es „Schmunzelpost“: Abenteuer eines Rentnerlebens, in denen Amseln mit wenig Unterwäsche, der ganz normale Krankenhauswahnsinn, eine filmreife Taxifahrt, eine Krötenzaun-Patrouille, herrliche Hypochonder-Anfälle und rotzfreche Gören mit ungeahntem Schimpfwortschatz vorkommen.

Vers- und Kunstbuch deluxe

Christoph Ransmayr: Unter einem Zuckerhimmel.
Christoph Ransmayr: Unter einem Zuckerhimmel. © Fischer

Verse und Liedstrophen sind für Christoph Ransmayr „die vollendete Form einer Geschichte“ – seit er seiner Mutter und einer Magd lauschte, wenn sie nach der Stall-Arbeit den Boden schrubbten und sangen, von Vogelhochzeiten, Männlein im Walde und dem stillen Mond. Und so schreibt Ransmayr faszinierende Impressionen seiner vielen Reisen in Gedicht- und Balladenform auf – und Anselm Kiefer illustriert sie mehr als kongenial in Aquarell-Folgen, so dass ein rundum bibliophiler Band entstanden ist, zum Lesen, Gucken, Fernträumen.

Krimi und mehr

„Samson und Nadjeschda“ kommt zwar als Krimi daher, zugleich ist es aber auch eine wunderbar beiläufige Geschichtsstunde über die Ukraine nach der Oktoberrevolution. Kurkow zeichnet mit wunderbarem Hang zur Groteske die Mentalität der Ukrainer, von der sich auch 100 Jahre später noch viel erhalten hat – oder sollte es gar eine Projektion aus dem Heute sein? Der Held wird zum Bolschewiki wider Willen, trauert melancholisch der alten Zeit nach (in der die Ukraine von vier verschiedenen Hauptstädten aus regiert wurde) und begibt sich mit einiger Spannung auf die Spur von Silberdieben. Schöne Mischung!

Kinderbuch

Die „Suche nach der allerschönsten Umarmung“ endet in einem großen Umarmungstohuwabohu: schöner geht’s kaum, und man kann sich schon denken, wie die Reaktion der Knirpse sein wird, wenn man es mit ihnen gelesen hat – hach!