Essen. Jean-Jacques Sempé, der Zeichner und Cartoonist, der dem „kleinen Nick“ sein charmantes Gesicht gab, starb wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag.
Am kommenden Mittwoch hätte sein 90. Geburtstag groß gefeiert werden sollen, doch fast in der Manier seines kleine Lausbuben Nick, der so oft drohte „Dann geh ich weg von zu Hause und ihr werdet mich noch vermissen!“, hat sich Sempé, dieser große Zeichner der kleinen französischen Leichtigkeit, auf und davon gemacht, für immer: Jean-Jacques Sempé starb am Donnerstagabend in seinem Ferienort „friedlich“ und „umgeben von seiner Frau und seinen engen Freunden“, wie sein Biograf und Freund Marc Lecarpentier die Nachrichtenagentur AFP wissen ließ. „Die zarte Ironie, die Feinheit der Intelligenz, der Jazz: Wir werden Jean-Jacques Sempé nicht vergessen können“, brachte es Präsident Emmanuel Macron auf den Punkt.
Sempés Zeichnungen waren die Inkarnation des feinen, liebevollen französischen Witzes, immer mit einer Portion Esprit aufgeladen, ohne gleich intellektuell zu werden. Beste Unterhaltung, die nicht böse werden muss, um leise zu kritisieren, die im Spiegelvorhalten mit einem Lächeln schon ihre Arbeit getan hat. Der Nachwelt hinterlässt Sempé über 40 Bildbände, die sich über 15 Millionen Mal verkauft haben, übersetzt in 30 Sprachen – sogar ins Chinesische.
„Asterix“-Texter René Goscinny gab dem „kleinen Nick“ die Worte
Sempés herzwarme Geschichte vom „Geheimnis des Fahrradhändlers“ etwa oder seine zärtlich-satirischen „Musik“-Cartoons wurden möglich durch den Erfolg seines „kleinen Nick“: Am 29. März 1959 war in der französischen Regionalzeitung „Sud-Ouest-Dimanche“ die erste Geschichte über ein nickeliges Osterei erschienen, die Folgen haben sollte, nämlich über 200. Der andere Vater des kleinen Nick war der „Asterix“-Texter René Goscinny. Sempé gab dem kleinen Jungen, der immer zu seinem Publikum aufschaut, egal wie klein es ist, ein Gesicht. In miniaturverliebten, genial reduzierten Zeichnungen, wie man sie auch beim „New Yorker“ liebte, der ihm 1978 mit fast 50 die erste Festanstellung gab und für den Sempé Dutzende von Titelseiten zeichnete. Er hatte eigentlich Jazz-Pianist werden wollen, sich dann aber jahrzehntelang in Paris mit seinen Zeichnungen in „harten, grausamen Jahren“ irgendwie über Wasser gehalten.
Beim „Petit Nicholas“, wie er im Original heißt, sehen wir einen Jungen mit übergroßem Kopf fürs Kindchenschema und mit einem Mund, der fast von Ohr zu Ohr lächeln kann. Ein Junge, wie man selber gerne einer war oder zumindest gern gewesen wäre. Dass er Knickerbocker trägt und Pullunder, wirkt auf charmante weise antiquiert und zeitlos zugleich. Das Wort „Filou“ scheint eigens für ihn erfunden worden zu sein.
Bullerbü auf Französisch – das Gegenteil von Sempés eigener Kindheit
Die Geschichten, die in geradezu spektakulärer Normalität vom kindlichem Alltag erzählen, sind eine geordnete, übersichtliche und selbst in ihrer Komik berechenbare Welt, ein kleines Bullerbü auf Französisch. Und es ist das Gegenteil von Sempés eigener Kindheit: als uneheliches Kind bei Bordeaux geboren, wuchs er zunächst in einer gewalttätigen Pflegefamilie auf, bis seine Mutter ihn zurückholte – und ihn damit der Gewalt seines Stiefvaters aussetzte. Er habe damit seine eigene Kindheit wiederaufleben lassen wollen, sagte er einmal, um ihr zugleich ein gutes Ende zu schenken. Das hat der große Sempé nun auch für sich gefunden.