New York. „West Side Story“ kommt nach Duisburg, Essen und Düsseldorf. Zu Gast bei Alexander Bernstein, der in New York über das Erbe seines Vaters wacht.
Nachdenklich schweift Alexander Bernsteins Blick über die Familienfotos in den dicht bestückten Bücherborden. „Die erste klassische Oper der USA? Nein, es ist ein Musical – ein Musical mit opernhaften Zügen“, sagt der 67-Jährige. „Mein Vater und seine Mitstreiter wollten ein Werk schaffen, das in seiner Struktur europäisch, doch im Geist absolut amerikanisch sein sollte, durchsetzt mit verrückten Ideen aus dem Jazz und anderen Musikgenres sowie modernen Formen des Tanzes. Ihr Ziel war das nächste Level des Musicals – und das mündete in diesem Wunder ,West Side Story’.“
Es ist Leonard Bernsteins wohl bekanntestes Werk – auch wenn sein Sohn nicht müde wird, auf dessen Mitstreiter zu verweisen: Songtexter Stephen Sondheim, Choreograph Jerome Robbins und Autor Arthur Laurents. Doch ohne den Jahrhundertmusiker, der nicht nur souverän die etablierten Spartengrenzen übersprang, sondern als Komponist, Dirigent und Pianist, Lehrer, Essayist und humanitär engagierter Demokrat auch dem Renaissance-Ideal des Universalgenies sehr nahe kam, wäre die amerikanische „Romeo und Julia“-Version niemals zum berühmtesten Musical der Welt geworden.
Millionensumme in die Neuproduktion der „West Side Story“ investiert
Und wahrscheinlich würde auch nicht der deutsche Veranstalter Mehr-BB Entertainment nun eine Millionensumme in eine Neuproduktion der „West Side Story“ investieren, die das Musical 61 Jahre nach seiner Deutschlandpremiere erst für mehrere Monate durch den deutschsprachigen Raum und anschließend für drei Jahre rund um den Globus bis nach China und Japan führen soll. Wohl wissend, dass Hits wie „Maria“, „Somewhere“ oder „America“ in ihrer verschmelzenden Buntscheckigkeit bis heute die Menschen in aller Welt berühren und mitreißen. „Dabei hat die Kombination aus tragischer Liebesgeschichte und der Auseinandersetzung der Gangs mit Toten auf der Bühne die Leute damals ziemlich geschockt“, erinnert sich Alexander Bernstein an die Berichte von der Premiere 1957.
Sein Vater habe später aus einem ganz anderen Grund ein eher zwiespältiges Verhältnis zu seinem bekanntesten Werk gehabt: Erwartete doch fortan jeder eine weitere „West Side Story“ von ihm... „Natürlich liebte er das Musical wie sein Kind“, sagt sagt Alexander Bernstein, „er hätte sich eben nur gewünscht, dass auch seine anderen Kinder ähnlich populär gewesen wären“. Was seinem Erfolg und seiner Berühmtheit indes keinen Abbruch tat: Schon zu seinem 60. Geburtstag gratulierten dem US-Allround-Superstar 1978 Prominente aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens bis hin zu Helmut Schmidt und Jimmy Carter. Und ein Bild mit dem ehemaligen US-Präsidenten findet sich natürlich auch im New Yorker Penthouse der Bernsteins – vom gemeinsamen Skifahren. „Er liebte Sport, zu schwimmen und zu segeln“, erzählt sein Sohn beim Blick auf einige der Familienfotos, die sich auf dem auf einer Auktion ersteigerten Steinway-Flügel finden. „Wir haben viel Tennis zusammengespielt – bis zu meinem 13. Lebensjahr war er mir überlegen, doch danach hat er nie wieder gegen mich gewonnen…“
Ein ganz normales Vater-Sohn-Verhältnis? Der kleine Mann mit dem lichten Haar sinnt für einen Moment nach, als ließe er die gemeinsamen Jahrzehnte daheim noch einmal Revue passieren. „Natürlich war mein Vater viel mit Orchestern in den USA und in aller Welt unterwegs – doch war er dann zuhause, widmete er sich uns und wir haben viel gespielt und gelacht.“ Allein bei Musik konnte Bernstein senior ungnädig werden – zumindest wenn diese nebenher lief: „Machten meine beiden Schwestern und ich unsere Hausaufgaben und ließen dabei das Radio laufen, regte er sich jedes Mal auf: ‚Wie in aller Welt könnt ihr euch konzentrieren bei diesem Krach?!‘“, entsinnt sich der Filius. „Für ihn war Musik allein Krach, wenn man nicht richtig zuhörte.“
„Ein einzigartiges Geschenk an die Welt“
Nicht nur bei der Musik ging Leonard Bernsteins Blick stets über die schlichten Klänge hinaus. Und genau das ist es, was sein Sohn Alexander seit jeher an seinem Dad bewundert hat – und was bis heute dafür sorgt, dass er sich als dessen Nachlassverwalter engagiert. „Sein Vermächtnis ist solch ein Schatz aus Kompositionen, Dirigaten und Bildung – ein einzigartiges Geschenk an die Welt, das ich so lange wie möglich bewahren möchte.“
Was dann noch einmal den Blick auf die West Side Story lenkt – „Absolutes Vertrauen“ habe er in Lonny Price, der nun bei der Neuproduktion Regie führt: Inszenierungsvorgaben gäbe es da nicht. Schließlich kennen sich die beiden seit mehr als vier Jahrzehnten, ist sich der Broadway-erfahrene Schauspieler und Regisseur seiner Verantwortung gegenüber Komponist und Werk wohl bewusst. „Es macht keinen Sinn, die Geschichte in eine andere Zeit zu verlegen, Handys einzuführen oder einen Tony, der nach Maria ‚googelt‘.“ Nein, Price vertraue voll und ganz auf die ungebrochene Popularität des Musicals: „Die West Side Story wird auch für die nächsten 100 Jahre noch frische Musik sein.“ Ganz gleich ob nun Musical oder erste klassische US-Oper.
Termine und Karten
„West Side Story“ in: Duisburg: 8.-10.12., Theater am Marientor, Karten (39,90-79,90 Euro): Tel. 01806/ 101 011; Essen: 10.-15.1., Grugahalle, Karten (49,90-109,90 Euro): Tel. 01806 / 570 070; Düsseldorf: 21.- 26.3., Capitol Theater, Karten (27,85-99,90 Euro): 0211 / 734 40.