Essen. Steven Spielberg verfilmte den Musical-Klassiker „West Side Story“ neu und legt einen aufregend schönen Film vor – ab Donnerstag in unseren Kinos.

Hell’s Kitchen ist kein Ort für Weicheier. Das Viertel, in dem irische Einwanderer sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts ansiedelten und eine Brutstätte des Verbrechens etablierten, ist am Ende der 1950er-Jahre im Umbau begriffen. Ganze Häuserblocks werden abgerissen, um neue Wohnviertel zu etablieren. Und es rücken neue Einwanderer an, besonders aus Puerto Rico, und versuchen Tritt zu fassen. Das sorgt für Reibungsfläche mit den Jugendbanden der Iren, die ihr Revier bedroht sehen. In diesem Spannungsfeld spielt sich die „West Side Story“ ab.

Leonard Bernsteins Meisterwerk: eine „Romeo und Julia“-Variation

Im Sommer 1957 erlebt das Musical über rivalisierende Jugendbanden seine Bühnenpremiere. Es überträgt Shakespeares „Romeo und Julia“ ins New York der (damaligen) Gegenwart, die verfeindeten Familien Capulet und Montague, das sind jetzt die europastämmigen Jets und die Sharks aus Puerto Rico. Die hassgeschwängerte Rivalität findet ihren tragischen Höhepunkt, als sich Tony, ein Junge der Jets, in die junge Puertoricanerin Maria verliebt, deren Bruder Bernardo der Anführer der Sharks ist. Diese dramatische Geschichte, mit Bandenkämpfen und raffiniert choreografierten Tanzeinlagen spannend und sinnlich aufbereitet, bietet zudem melodisch mitreißende Songs aus der Feder des bereits hoch gehandelten Komponisten Leonard Bernstein.

„West Side Story“, das Musical, wird auf Anhieb ein Erfolg. 1961 gibt es eine aufwändige Breitbild-Verfilmung mit innovativen Kamera- und Farbeffekten und einmal mehr sensationellen Tanzeinlagen. Der Film erringt zehn Oscars, darunter den für den besten Film des Jahres, und erfreut sich als einer der besten Musicalfilme einer wachsenden Reputation; ein zeitlos in seinen Bann ziehendes Meisterwerk.

Wieso denn noch eine Verfilmung ?

Und dann das: In der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre gibt Steven Spielberg bekannt, dass er die „West Side Story“ neu verfilmen will und dabei mehr Nähe zur Bühnenvorlage anstrebt und zudem die Latino-Rollen herkunftsgerecht besetzt werden. Sofort baut sich Ablehnung auf. Warum einen Klassiker neu angehen, wenn die erste Verfilmung doch so ziemlich alles richtig machte? Und hatte Spielberg als Produzent nicht gerade erst für das künstlerische und finanzielle Fiasko der Musicalverfilmung „Cats“ verantwortlich gezeichnet? Und so einer vergreift sich jetzt an der „West Side Story“? – Geht gar nicht!

Irrtum. Spielberg und seine Crew waren sich der Verantwortung wohl bewusst und sind mit einer vorbildlichen Sorgfalt ans Werk gegangen. Janusz Kaminski, Spielbergs langjähriger Kameramann, drehte den Film analog auf 35-Millimeter-Film mit Panavision-Breitbildoptik und erzielt damit eine sinnliche Textur, die den Film von allen anderen Filmen dieses Kinojahres enthebt. Die Wärme der Farben und die effektsicher ausgeleuchteten Nahaufnahmen schaffen die Atmosphäre eines Zwielichtlands; der Film spielt 1958, aber der unverhohlene Rassismus der Polizei gegenüber fremden Ethnien, das Mobbing von Unangepassten (das Mädchen Anybodys, das so gern zur Jungsbande gehören würde) und die tragikumflorte Liebesgeschichte bieten Konfliktstoff, der klar etwas mit unserer Zeit zu tun hat.

Ansel Elgort mit der physischen Präsenz des jungen Marlon Brando

Und das Schauspielerensemble agiert kraftvoll: Ansel Elgort („Baby Driver“) gibt Tony mit der physischen Präsenz des jungen Marlon Brando, Neuentdeckung Rachel Zegler ist eine bezaubernde Maria, Mike Faist ein offensiv krimineller Jets-Anführer Riff. David Alvarez schillert als Bernardo und Ariana DeBose stiehlt allen die Show als Anita, die mit Salsa-Temperament die Männer schwach macht und den größten Hit des Musicals schmettert, „America“.

Die größte Attraktion aber ist und bleibt die Tanzchoreografie, die Spielberg unmittelbar aus der Bühnenfassung übernahm. Aus der Summe der superben Einzelteile entfesselt sich ein Kinorausch, der seinem berühmten Vorgänger ebenbürtig das Musical wieder zu einem Kinoerlebnis macht.