Dortmund. Viele Ohrwürmer, eine Inszenierung, die nicht verschreckt: „Gräfin Mariza“ in Dortmund ist ein Weihnachtsgeschenk ans treue Operettenpublikum.
Wo man „Leidenschaft“ auf „Gulaschsaft“ reimt, könnte der Kunstsinn sich natürlich gleich auf dem Absatz umdrehen. Die andere Möglichkeit heißt: So ist Operette eben – sie ist Champagner und Herzeleid, Poussieren und Paprika, mal Kitsch, mal Klamotte. Dortmunds Oper zeigt mit ihrer jüngsten Premiere aber zugleich: Selbst in ein 100 Jahre altes Schätzchen wie „Gräfin Mariza“ lassen sich doppelte Böden dezent einziehen.
Zu Beginn verleihen wir Fritz Steinbacher den ersten Preis „Buffo-Leistung der Spielzeit 22/23“. Was für eine Nummer! Steinbacher (Graf Kolomán Zsupán), die Niete unter den Heiratsanwärtern der steinreichen Titelheldin, stürmt als Elvis mit schwäre ungarischä Zungä den Saal. Eine zwerchfellerschütternde Nervensäge, größtä Rampensau unter Ungarns Schweinezüchtern, die der Puszta samt sechsköpfiger Tanz-Eskorte blechtrommelnd den „Stomp“ einhämmert.
So schöner Blödsinn ist (nach einem eher bleiernen Einstieg) eine Stärke des Abends – wie der monetengesättigte Auftritt des hypergelifteten Tantchens (Johanna Schoppa), die sich im Diener Penizek (selbstironisch bis zum Anschlag: Hannes Brock) einen ausgedienten Kritiker hält, der der von zig OPs erstarrten Dame die Mimik abnimmt.
Auf dem Boulevard-Parkett: In „Gräfin Mariza“ in Dortmund wird schön geblödelt
Auf solchem Boulevard-Parkett tänzelt Thomas Enzingers Regie ziemlich souverän. Den handlungstragenden Märchen-Standard „Armer Adliger liebt Millionärin von Stand“ hebelt Enzinger mit einer kleinen, nicht aufdringlich auskolorierten Rahmenhandlung aus. Ein Mädchen bestaunt diese seltsamen Erwachsenen, ihre verheimlichten Gefühle, ihre Umwege zum Glück.
Anders als manches Opernhaus, das zuverlässig gescheitert ist, ausgerechnet in der Operette das Publikum politisch zu belehren, bleibt die Sparte in Dortmund ein vorwiegend unbeschwertes Fest. Kronleuchter (Bühne: Toto) und raschelnde Roben, schöne Tenöre (Alexander Geller als ruinierter Tassilo), dazu ballettöse Weckrufe, wo die Dialoge Blutarmut zeigen. Ganz sacht schlägt der Puls der politischen Korrektheit unter diesem mit warmem Beifall bedachten Abend: Zigeuner die man geigen lässt, gibt es namentlich nicht mehr. Die Herrschaftsgeste, mit der der Adelsclan das Gut der Mariza entert, lässt indes keinen Zweifel, dass diese Welt immer noch aus einem Oben besteht, das aufs Unten herabschaut.
Drei Stunden waren es Samstag, auch mit zweieinhalb wären man gut bedient gewesen. Insgesamt eine Art Theater, das dem Stammpublikum einfach nur einen schönen Abend schenken will. Wenig ist das in diesen Zeiten nicht.
Junge Sängerinnen begeistern in „Gräfin Mariza“ in Nebenrollen
Zu solchem Vergnügen tragen gerade zwei junge Sängerinnen in kleinen Rollen animierend bei. Das NRW-Opernstudio zeigt sich einmal mehr als Bank für glänzende Talente, wenn Margot Genets Seherin Manja mit samtiger Sinnlichkeit das Schicksal besingt. Nicht nur als charmanter Quecksilber-Sopran ein Pfund, sondern hochbegabte Komödiantin: Soyoon Lee als Tassilos Schwester Lisa. Mariza ist Tanja Christine Kuhn (von Enzinger mit einem Schuss Oligarchen-Schuschka gezeichnet): Sopran mit sattem Fundament, so abgründig wie die launische Kühle selbst.
Ob Triumph der Herzensbande oder im Piano gehauchtes Mitgefühl: Der Opernchor zeigt sich in glanzvoller Form, obschon es gleich beim ersten Einsatz leicht ruckelte. Da hätte die debütierende Olivia Lee-Gundermann präziser agieren müssen. Überhaupt glückte der neuen Kapellmeisterin am Pult der Dortmunder Philharmoniker Melancholie und Zärtliches deutlich besser als das überbordende Feuer von Emmerich Kàlmàns funkelnder Partitur. Da geht mehr – am Orchester liegt es nicht.
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DATEN UND KARTEN
Gräfin Mariza, Oper Dortmund. Drei Stunden, eine Pause. Aufführungen im Dezember: 9., 18.,22. Im Januar am 5., 21. und 25. Die Inszenierung steht noch bis Ende Mai auf dem Spielplan. Es gibt auch Nachmittagsvorstellungen am Sonntag.
Karten (16-52€) unter Telefon 0231-5027222.