Bonn. „Das Thema ist ärgerlich“, schrieb Simone de Beauvoir über „Das andere Geschlecht“. Die Bonner Bundeskunsthalle widmet ihr nun eine Schau.

„Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“: Im Jahr 1949 war dieser Gedanke so neu, dass er einem Skandal gleichkam; und dann schrieb diese Simone de Beauvoir auch noch über die Sexualität der Frauen, über lesbische Liebe, über Abtreibung! Ihre Studie „Le deuxième sexe“, auf Deutsch 1951 als „Das andere Geschlecht“ erschienen, kam im Vatikan umgehend auf den Index, wurde in vielen Ländern nur stark gekürzt veröffentlicht – und gilt dem Feminismus seither als Bibel.

Die Bundeskunsthalle Bonn widmet jetzt in einer kleinen, feinen Reihe über weltbewegende Frauen der französischen Intellektuellen eine eigene Ausstellung: Jazzmusik und Bistro-Stühle lassen jene Nächte im Café des Flore und Café Le Procope leuchten, in denen Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre Hof hielten; zahlreiche Fotos zeugen davon. Vitrinen zeigen Skulpturen, die der Schweizer Künstler Alberto Giacometti 1946 von ihr schuf, auch er damals Teil der intellektuellen Szene in Paris. Auf einer Videowand spult sich Simone de Beauvoirs Werk zum Mitlesen ab, Zeile um Zeile. Aus heutiger Sicht erstaunlich trocken und sachlich (damals wurde ihr allerdings „unwissenschaftliche“ Arbeit vorgeworfen), untersucht sie die gesellschaftlichen Zuschreibungen, die weibliche Rolle, und das gar nicht mal so sehr aus feministischer, sondern aus soziologischer und philosophischer Sicht.

„Das Thema ist ärgerlich“, schrieb Simone de Beauvoir, „besonders für die Frauen“

Und mit allerlei Vorbehalten: „Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben“, heißt es im Vorwort. Denn: „Das Thema ist ärgerlich, besonders für die Frauen; außerdem ist es nicht neu.“ Wie aber die Philosophin nun, ganz in ihrer existenzialistischen Sichtweise, beschreibt, dass der Mann in der Historie stets das Subjekt gewesen und die Frau in die Rolle der „Anderen“ verwiesen hat, das bewegt auch Leserinnen, die vom Existenzialismus noch nie gehört hatten.

 Jean-Paul Sartre and Simone de Beauvoir mit Fidel Castro 1960 in Kuba.
Jean-Paul Sartre and Simone de Beauvoir mit Fidel Castro 1960 in Kuba. © ullstein . | ullstein

Wie sehr zur Popularität der 1908 in Paris geborenen Schriftstellerin und Philosophin ihr Aussehen, ihr Leben beigetragen haben mag? Die offene Beziehung, die sie mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre führte, wurde bestaunt, ihre gemeinsamen Reisen führten sie in alle Welt; die Schwarz-Weiß-Bilder der Schau präsentieren ein Gesicht mit hohen Wangenknochen und feinem Lächeln, das unter der immergleichen Hochsteckfrisur auf ganz eigene, charmante Weise zu altern scheint.

Freundin Sylvie Le Bon kommt im Film von Alice Schwarzer zu Wort

Ein Film von und mit Alice Schwarzer aus den 1980er-Jahren zeigt de Beauvoir mit ihrer rund 30 Jahre jüngeren Freundin (und späteren Adoptivtochter) Sylvie Le Bon beim Spaziergang durch den Park. Was hat sich geändert, seit ihr Werk erschienen ist, wird die Ikone de Beauvoir im Film gefragt – ihre ernüchternde Antwort: Eigentlich nichts, die Frauen sind noch immer nicht gleichberechtigt.

Aber dann! In den 80er-Jahren schöpften Feministinnen weltweit Kraft und Argumentationsgrundlagen aus de Beauvoirs Werk, wie eine ganze Zitate-Wand in der Schau belegt: „Frauen, ihr verdankt ihr alles!“ rief die französische Philosophin Elisabeth Badinter ihren Mitstreiterinnen zu. „Sie öffnete uns die Tür“, so sah es Schriftstellerin Kate Millett und die ebenfalls aus den USA stammende Feministin Gloria Steinem schrieb: „Mehr als jeder andere einzelne Mensch ist sie für die aktuelle internationale Frauenbewegung verantwortlich.“

Simone de Beauvoir und Sylvie Le Bon bei einer Demonstration für das Abtreibungsrech 1972 in Paris. JULIENNE/SIPA
Simone de Beauvoir und Sylvie Le Bon bei einer Demonstration für das Abtreibungsrech 1972 in Paris. JULIENNE/SIPA © Handout

Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986 in Paris, ihr Grab liegt auf dem Friedhof von Montparnasse neben jenem von Jean-Paul Sartre.

Wie sie heute über den Stand des Feminismus geurteilt hätte? Man muss nur mal kurz einen Blick auf die Selbstdarstellungen der Influencerinnen bei TikTok und Instagram werfen, um es zu erahnen.

Simone de Beauvoir und Das andere Geschlecht“. 4.3. - 16.10. 2022. Bundeskunsthalle, Helmut-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn, Deutschland. www.bundeskunsthalle.de

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-19 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr. Eintritt: Besucher bis 18 frei. Tageskarte: 5 Euro, ermäßigt 3,50 Euro.