Dortmund. Szenisch etwas halbgar, musikalisch elektrisierend gut. Puccinis „Tosca“ eröffnete die Spielzeit der Oper Dortmund. Es gab starken Beifall.

18 Monate kein Ton aus dem Orchestergraben: Was Corona für ein Opernhaus bedeutet, gelang in der Geschichte der Dortmunder Philharmoniker sonst nur den großen Kriegen. Der erste Takt: eine Erlösung, auch wenn die Helden der Geschichte allesamt untergehen. Puccinis blutgetränkter Reißer „Tosca“ feierte Samstag Premiere.

Das Publikum? Selig. Im Ohr einen Sound, der streckenweise großen Plattenaufnahmen Ehre machte. Die Philharmoniker unter Gabriel Feltz: in hochklassiger Form. Bei diesem Thriller das große Drama in den Raum zu blasen, das ist nicht allzu schwer. Aber wie subtil der Klangkörper (exemplarisch in den Vor- und Zwischenspielen) jene tückisch schimmernde Seide spinnt, in die Puccini das Monströse kleidet, das glückt atemberaubend. Dazu eine Titelheldin (leider nur Gast der Premiere), die neben dem heißen Furor der Verzweiflung enorm schöne Lyrismen offenbart. In ihren besten Momenten ließ die Lettin Inga Kalna ans melancholische Timbre der großen Tebaldi denken. Berauschend gut! Wann hört man das „Vittoria“ hierzulande mit der noblen Attacke eines James Lee (Cavaradossi)? Noel Bouleys Scarpia ist kein Charismatiker, aber doch sehr respektabel bei Stimme.

Mal Theatermuseum, mal intensiv

Typischer als „Tosca“ kann große Oper kaum sein: eine Frau, zwei Männer. Die Wahl ist leicht, die Verfehlung schwer. Künstler und Freiheitsrebell der eine, Schurke vom Dienst und korrupter Polizeichef der andere. Doch frei kommt der tapfere Cavaradossi nur, wenn Tosca dem Ekel Scarpia Lust schenkt. Sie bringt ihn um, er schickt Mario in den Tod, Tosca sich selbst.

Nikolaus Habjan, erst 33, Puppenspieler und Kunstpfeifer dazu, hat man in Dortmund den Klassiker anvertraut. Seine Regie zeigt bestechende wie irritierende Momente. Irritierend, weil man mitunter glaubt, hier stieße jemand als Retro-Witz die Tür zum Theatermuseum auf. Scarpia, ein weintraubenfressender Sadist zwischen gebratenem Schweinskopf und Kerzenleuchter – sind solche Erwartbarkeiten nicht mit Zeffirelli in Rente gegangen?

Das ist kein Einzelfall. Wie der Maler Cavaradossi eingangs seine Palette befeudelt, wie häufig mit Stand- und Spielbein gesungen wird, das ist kein Ruhmesblatt für ein Opernhaus im 21. Jahrhundert. Zum Bestechenden: Immer wieder findet Habjan enorm packende, überaus einfühlsame Lösungen. Wie er die zur Mörderin gewordene Tosca am Leichnam Scarpias mit sich ringen lässt, ist von bohrender Intensität. Die besten Szenen dieser Regie kennzeichnet extreme szenische Musikalität. Coronagemäß clever gerät auch die Lösung von Massenszenen: Auf eine Gaze projiziert Habjan die Chöre, optisch sind sie also auf der Bühne (Heike Vollmer), akustisch „off stage“.

So ein diskreter, teils altmodischer Zugriff freut manchen. Jahre fürchtete ein Teil des Publikums sich vor Lesarten wie Mozarts „Entführung“ am Döner-Grill. Zu dieser „Tosca“, das steht fest, können auch die Busse aus Oelde wieder anrollen. So geht Oper zum Liebhaben.

Habjan lässt in einem überzeitlich siedelnden, an Mussolinis Faschismus erinnernden Setting den Originalrahmen (Rom 1800 zwischen europäischen Fronten) weitgehend verschwinden. Was ihn interessiert, erzählt er souverän – vom Mensch als des Menschen Wolf und dem Dilemma eines richtigen Gefühls im falschen Augenblick.

-------------

STARGAST MICHAEL VOLLE

Die Rolle der Tosca in Dortmund werden Stephanie Müther und Gabriela Scherer singen, den Scarpia in den meisten Fällen Mandla Mdebele.

Fans des Weltstars Michael Volle (Bayreuth, London, Paris, Wien) dürfen sich auf seinen Dortmunder Scarpia am 4. Dezember freuen. Mit Dortmunds Tosca Gabriela Scherer ist der Bariton verheiratet.

Mehr Info:

https://www.theaterdo.de/