Frankfurt/M. Nanu, Kanzler Scholz als Verleger? Auf der 47. Buchmesse wird man auch von der Bundesregierung umarmt: Eindrücke einer fast coronafreien Messe.

Wenn wir das geahnt hätten! Olaf Scholz ist in Wirklichkeit ein Verlags-Chef, mit diskussionsfreudigen Lektoren wie Habeck und Lindner: „Herzlich Willkommen bei der Bundesregierung!“ posaunt ein Plakat über einem der größten Stände der Messe, und die Titel, die einen da erwarten, heißen „Reisezeit – Ihre Rechte“ im handlichen Din-A-5-Format, die „Bioökonomie in Deutschland“ ist doppelt so groß und „So sag ich’s meinem Vorgesetzten“ über Elternzeit und flexible Arbeitszeitmodelle liegt irgendwo dazwischen. Die Talkshow dazu heißt „Zeitenwende on tour“ – und wer dachte, es gehe voran, erlebt eher, dass Geschichte gemacht wird: erste Gäste sind Annegret Kramp-Karrenbauer, Angela Merkels letzte Verteidigungsministerin, und ihr langjähriger Außenpolitik-Berater Christoph Heusgen.

Der Regierungs-„Ratgeber Pflege“ ist allerdings schon nach wenigen Stunden vergriffen, dabei liegt das Durchschnittsalter des Buchmesse-Publikums weit unterm Bundes-Durchschnitt – und die als „Fachbesucher“ getarnten Schulklassen, die sonst mit ihren Lehrkräften einen sportlich-launigen Tag mit bildungsbeflissenem Anstrich verbummeln, sind noch gar nicht da!

Dönekes von Donna Leon und Länderstände mit „Publish in Bavaria“

Aber sonst ist fast alles wie früher: Doppel- und Dreifachstreifen der Polizei tragen schusssicheren Westen und Waffen, auf Sichtbarkeit zielend wie sie selbst. Auf andere Formen der Sicherheit wird jedoch gepfiffen – mehr als jede Corona-Ansteckung fürchten die „Buch-Messies“ den Gesichtsverlust. Aber immerhin werden Maskenträger höchstens schief angesehen oder belächelt. Damit das Ansteckungs-Risiko sinkt, sind die Gänge in diesem Jahr breiter als in Vor-Corona-Zeiten. Das kaschiert zum einen, dass noch nicht ganz so viele Verlage wie vor der Pandemie in Frankfurt sind – und sorgt zum anderen für weniger Gedrängel. Bringt aber auch die zahllosen TV-Kameraleute um die begehrten Messetrubel-Bilder. Es sei denn, eine Zelebrität wie Venedig-Flüchtling Donna Leon hält Hof, um das Lesevolk mit Dönekes aus 80 Lebensjahren zu erheitern.

Mehr denn je machen sich in den Messehallen 3 mit deutschsprachiger Literatur ganze Länder-Stände breit. Da sind nicht nur die Schweiz und Luxemburg vertreten, sondern auch fast alle Bundesländer: „Publish in Bavaria“, trompetet es am internationalen Verlagsstandort Bayern; gegenüber liegt die „Ideentanke“ Baden-Württemberg, aber wenn dort solche Ideenfunken fliegen wie die hochgradig albernen Monstermützen, mit denen die Messe-Hostessen dort herumlaufen müssen, dann: „Gut’s Nächtle“.

Queen Elizabeth II. in Büchern und Kalender

Bücher über Elizabeth II. sind en vogue („Die aktuellste Biografie der Queen“), und ihr Landsmann Jamie Oliver hat den Eintopf entdeckt, der heutzutage selbstverständlich nicht so heißen darf, sondern „One Pot“. Der Star-Koch kommt allerdings als einer der letzten auf diesen Trend. Andere sind schon bei „Camping für die Seele – yes, we camp!“ oder der „Winter-Grill-Bibel“, die wiederum nicht im Programm der „Christlichen Literatur-Verbreitung“ aus Bielefeld zu finden ist. Ohne Buchmesse wüsste man vielleicht auch nicht, dass es ein „Bayerisches Kulturzentrum der Deutschen aus Russland“ gibt oder welche Bücher der Karl-Rauch-Verlag außer dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupery macht, der ihn seit Jahrzehnten über Wasser hält.

„EU-Pass“ mit Lyrik

Für Mitbringsel-Jäger bietet der eine Verlag Lesezeichen im Buchdesign seiner Historienschinken-Königin Rebecca Gablé, während ein Kleinstverlag origineller Weise „EU-Lyrik“ im opischen Gewand eines Reisepasses anbietet, der sogar mit einem vor Ort angefertigten Passbild ergänzt werden kann. Viel stiller ist es an einem Stand, den ebenfalls die Bundesregierung fördert und an dem Bücher aus Nordmazedonien, Ruanda und Haiti präsentiert werden, die sich einen Messe-Auftritt sonst nicht leisten könnten. Hier gibt es, Seit’ an Seit’ und kaum besucht, auch Kinderbücher aus dem Iran und Comics aus der Ukraine.

Der Friedenspreisträger Sherhij Zhadan wird gehofft – falls der Krieg ihn lässt

Weniger still ist es auf den Diskussions-Foren zu dem, was in beiden Ländern gerade passiert – was der Buchmesse die Chance gibt, sich politisch zu profilieren, damit es in Frankfurt nicht nur ums Geschäft, sondern auch um die Freiheit des Worts und der Tat gehen kann. Am Eröffnungstag wurde über die Revolution der Frauen im Iran diskutiert: Nargess Eskandari-Grünberg, einst im Iran verfolgt und heute in Frankfurt Bürgermeisterin und Integrations-Dezernentin für die Grünen, forderte von Deutschland und Europa mehr Solidarität mit der protestierenden Frauenbewegung im Iran: „Sie brauchen uns!“

Und am heutigen Donnerstag wird in Frankfurt Sherhij Zhadan aus der Ukraine erwartet, der am Sonntag in der Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden soll. Er, der im Moment eher Spenden für Hilfsgüter und Medikamente sammelt als dass er schreibt, soll am Abend aus seinem aktuellen Buch „Himmel über Charkiw“ mit Facebook-Einträgen seit dem 24. Februar lesen. Ob er aus seiner Heimatstadt Charkiw anreisen kann, hängt allerdings auch vom Kriegsverlauf ab.