Dortmund. Halbleere Ränge – und eine höchstens halb gelungene Inszenierung des ukrainischen Romans von Serhij Zhadan im Theater Dortmund.

Dass Theaterpremieren grundsätzlich ausverkauft sind, gehörte schon vor Corona der Vergangenheit an. Wenn aber die Ränge halbleer bleiben wie bei der ersten Aufführung von „Depeche Mode“ im Dortmunder Schauspiel, ist es wohl ein Alarmsignal.

Die Dramatisierung des Romans von Serhij Zhadan aus Charkiw, dessen deutsche Übersetzung 2007 erschien, scheint durch die aktuellen Ereignisse in der Ukraine fast ein Gebot der Stunde. Man liest hier, dass es den Ukrainern in der Zeit nach dem Zerfall der kommunistischen Strukturen nicht besser erging als den Russen: Hier die raffinierten Kleptokraten, die sich den vormals „volkseigenen“ Besitz mit einer Gier unter den Nagel rissen, die man bis dato immer dem Klassenfeind nachgesagt hatte; und dort die vielen Ahnungslosen, die noch halb an die alten Ideale, die alten Riten und Helden glaubten, aber vor allem nicht wussten, wie der kapitalistische Hase lief. Und sich im entstandenen Freiraum, als Jugendliche zumal, mit Drogen aller Art zudröhnten und sehr damit beschäftigt war, der Zeit beim Verstreichen zuzusehen.

Depeche Mode als „irische Volksmusikgruppe“

Aber die Eile, mit der die Dramatisierung des Romans (nach einer bereits vorliegenden Textfassung von Markus Bartl in einer Bearbeitung von Sabine Reich) in Dortmund auf den Spielplan gerückt wurde, war allzu sehr zu spüren. Vor allem bei Adi Hrustemovic machten sich viele Textunsicherheiten bemerkbar, von den Darstellern erreichte nur Linus Ebner Stadttheater-Standard. Dabei waren die Anforderungen durch die Regie von Dennis Duszczak nicht außergewöhnlich. Gestisch, mimisch, sprachlich war nur die Umsetzung einzelner Romanszenen in Spiel gefordert, in skizzenhaften Szenen, deren Begleitsound (Lutz Spira) sparsam und nur fragmentarisch an die Band erinnerte, die dem Ganzen den Titel gab.

Dabei spielt die Band (außer in einer grotesk gespielten Radiosendung über die „irische Volksmusikgruppe) Depeche Mode hier nur am Rande eine Rolle; es geht vielmehr darum, dass sich die drei Freunde Serhi (Adi Hrustemovic), Dog Pawlow (Valentina Schüler) und Wasja Kommunist (Mervan Ürkmez), die ihrem Freund Sascha Zündkerze die Nachricht vom Tod seines Stiefvaters überbringen wollen. Ankommen wird nur einer von ihnen, aber die Depesche, die Nachricht – sie wird im Laufe der Reise immer irrelevanter. Übrig bleibt der Modus des immer sinnloseren Unterwegsseins.

Serhij Zhadans „Depeche Mode“-Roman ist ein surreales Sprachfeuerwerk

Die Regie geht dabei eher konventionell vor, bleibt also unter dem avantgardistisch-surrealen Sprachfeuerwerk des Romans. Dass jemand mit dem Rad durch das Halbdunkel der Bühne kreiselt, sah man schon oft; den hier allerdings geschickten Einsatz der Drehbühne zur Straffung der Handlung ebenso. Aber selbst die beiden pausenlosen, fast kurzweiligen Stunden sind viel zu wenig Zeit, um auch nur einen Bruchteil des Roman-Panoramas ahnen zu lassen, da wäre mehr und konsequentere Verdichtung nötig gewesen.

Was bleibt ist die Odyssee, das Taumeln ins Erwachsenenleben zwischen den Trümmern der Kommunismuspleite und Blüten des Raubtierkapitalismus, hie und da mit witzigen Dialogpassagen versetzt. Wer aber etwas über die Seelengeschichte der ukrainischen Generation Ü30 erfahren will, die uns jetzt mit ihrer militärischen Entschlossenheit beeindruckt, um nicht von Tapferkeit und Nationalbegeisterung zu sprechen, muss Serhij Zhadans Roman lesen. Da ist sehr viel von den Wurzeln heutigen Tuns und Meinens die Rede, zwischen den Zeilen, in Bildern und Strukturen.