Gelsenkirchen. Auch wenn die Publikums-Resonanz schwächelt: „Leonce und Lena“ am MiR Gelsenkirchen ist ein sehenswerter Abend. Musik: Herbert Grönemeyer.
Alles so schön bunt hier! Der Prinz von Popo und die Prinzessin von Pipi sind angekommen im schrillen Pop-Art-Paradies. In dieser Wirtschaftswunderwelt frönen sie dem Müßiggang, allerdings nicht fröhlich, sondern gelangweilt und trübsinnig. In der Sicht von Astrid Griesbach kommt Büchners Lustspiel „Leonce und Lena“ im Musiktheater im Revier als moderne, bilderpralle Persiflage auf eine nichtsnutzige Erbengeneration in einer degenerierten Wohlstandsgesellschaft auf die Bühne.
Das MiR-Puppentheater inszeniert den Klassiker im Kleinen Haus als spartenübergreifendes Theater in einer abstrakten Welt voller Kunstfiguren. Selten funktioniert der Einsatz der Handpuppen in einem Theaterstück so perfekt wie in Büchners Satire auf eine höfische Welt, in die die Figuren wie Statisten hineingeboren werden. Reich, ohne je etwas dafür getan zu haben, aber übersättigt vom Wohlstand. Beide verzweifeln an der vergeblichen Suche nach irgendeinem Sinn im Leben. Büchner beleuchtet ein Märchen von zwei melancholischen Königskindern, die vor einer arrangierten Hochzeit fliehen, sich in Italien durch Zufall begegnen und ineinander verlieben.
Astrid Griesbach inszeniert in Gelsenkirchen Büchners „Leonce und Lena“
Die Regisseurin wählte für Prinz und Prinzessin zwei kleine, zarte, blasse Wesen, die federleicht durch die Lüfte fliegen. Leonce und Lena haben die Bodenhaftung verloren. Die schuftenden Begleiter in Gestalt des Vertrauten Valerio und der Gouvernante sind deutlich erdenschwerer und dominanter. Bewegt werden die Figuren von ausgezeichneten Spielerinnen und Spielern (Merten Schroedter, Gloria Iberl-Thieme, Daniel Jeroma, Veronika Thieme), die stets sichtbar die Puppen führen, mal allein, mal gar zu Dritt. Sie verleihen ihnen die Stimme, lassen sie singen und tanzen.
Am Musiktheater im Revier feierte „Leonce und Lena“ Premiere, mit Puppen
Das Pärchen sucht nach dem Sinn im Leben, das Publikum möglicherweise nach dem zu erwartenden Genre, denn die Premiere war nicht annähernd ausverkauft. Schauspiel, Figurentheater oder Musical? Von allem etwas und das weitgehend sinnstiftend. Die Inszenierung nutzt erstmals nach der Uraufführung 2003 die Musik von Herbert Grönemeyer, der die Inszenierung von Theatermagier Robert Wilson am Berliner Ensemble vertont hatte. Moderne Klänge und poetische Songtexte brechen die philosophischen Texte von Büchner, leider bleibt die Textverständlichkeit oft auf der Strecke.
Bei den Songs von Herbert Grönemeyer bleibt die Textverständlichkeit auf der Strecke
Hübscher Gag: Die Musik kommt aus der Konserve. Um einen Grönemeyer-Song zu starten, wird eine klassische „Campbell’s“Suppendose geöffnet, auf der hier der Schriftzug „Herbert’s“ prangt. Sarah Wolters schafft mit ihrer Bühne einen Pop-Art Raum, Metapher für eine konsumorientierte Gesellschaft. Neongelbe Sitzkissen laden zum Müßiggang ein. Die Puppenspieler tragen futuristische Kopfbedeckungen und Kleider im leuchtenden Mondrian-Look. Und wenn am Ende der ganze Hofstaat zuversichtlich seine Faulheit besingt („Arbeit ist nicht geheuer, wir werden froh und faul und alt“), setzt die Regie mit einem Büchner-Zitat noch einen dick aufgetragenen Schlusspunkt, als hätten es noch nicht alle verstanden: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“
Karten/Termine: 0209-4097200