Gelsenkirchen. Regisseurin Astrid Griesbach gibt am MiR Einblicke in Proben zur Komödie „Leonce und Lena“. Was Star-Musiker Herbert Grönemeyer dazu beiträgt.

Prinz Leonce und Prinzessin Lena plappern ohne Unterlass. Den Mund aber bekommen sie dabei nicht auf. Die beiden unglücklichen Königskinder nämlich sind lediglich kleine zarte Puppen, die erst durch die Spielerinnen und Spieler des Musiktheaters zum Leben erweckt werden. Und das mit ganz viel Hingabe, Liebe und Leidenschaft: Die Proben im Kleinen Haus für die Premiere der Komödie aus der Feder von Georg Büchner (1813-1837) am Freitag, 7. Oktober, laufen derzeit auf Hochtouren.

Die einzige Komödie aus der Feder von Georg Büchner

Regisseurin Astrid Griesbach ist Professorin für Puppenspielkunst an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst.
Regisseurin Astrid Griesbach ist Professorin für Puppenspielkunst an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Regisseurin Astrid Griesbach sieht entspannt im Theatersessel zu, was auf der Bühne passiert. Mal lächelt sie, mal lacht sie. Eingreifen muss die Professorin für Puppenspielkunst an der Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst nur selten. „Wir feilen noch wenig an einzelnen Szenen“, zieht die Theatermacherin eine positive Bilanz ihrer bisherigen Arbeit am Büchner-Lustspiel. Dann springt sie doch rasch auf und zieht ein pralles gelbes Kissen an die richtige Position. Am Ende soll halt alles perfekt sitzen.

Büchners einzige Komödie erzählt von den beiden Königskindern Leonce von Popo und Lena von Pipi. Die Väter haben eine Heirat arrangiert, obwohl sich die beiden jungen Adligen überhaupt nicht kennen. Beide entschließen sich zur Flucht und es kommt, wie es kommen muss: Sie lernen sich in der Fremde kennen und lieben und gehen den Bund der Ehe ein. Büchner, ein hochpolitischer Literat, prangert mit seinem Stück auch die höfischen Verhältnisse mit ihren Privilegien an.

Herbert Grönemeyer schrieb die Musik zu „Leonce und Lena“ im Jahr 2003

Szene aus einer Probe für „Leonce und Lena“ am Gelsenkirchener Musiktheater.
Szene aus einer Probe für „Leonce und Lena“ am Gelsenkirchener Musiktheater. © Ingo Otto

Und was erzählt „Leonce und Lena“ den Menschen von heute? „Oh, eine ganze Menge“, ist Griesbach überzeugt. „Büchner stellt uns zwei Upper-Class-Typen vor, die geerbt haben und beide vor ihrer Verantwortung für die Gesellschaft fliehen.“ Der Autor kontrastiert Prinz und Prinzessin, die weder arbeiten wollen, noch arbeiten müssen, mit der Gouvernante und dem Diener, dem Personal also, das arbeiten will und muss. Griesbach: „Büchner erzählt auch von der Übersättigung eines Systems, von einer überdrüssigen Wohlstandsgesellschaft.“

Die Musik zu diesem witzig-melancholischen Spiel schrieb Herbert Grönemeyer im Jahr 2003 für eine Inszenierung von Robert Wilson am Berliner Ensemble. Der US-amerikanische Kultregisseur nutzte die Magie seiner verlangsamten Ästhetik, um die Künstlichkeit der Figuren zu dokumentieren. Das Musiktheater geht einen anderen Weg. „Wir spielen mit Puppen, zeigen so Kunstfiguren in einem künstlichen Raum.“

Rauschhafte Texte – wie Gemälde oder Musik

Auch die Sprache Büchners, betonen Griesbach und ihre Dramaturgin Anna-Maria Polke, sei alles andere als alltagstauglich: „Das sind rauschhafte Texte – wie Gemälde oder Musik.“ Apropos Musik: Die steuert der prominente Sänger Grönemeyer bei, dessen Karriere einst am Schauspielhaus Bochum als Komponist klassischer Bühnenmusiken begann. Er gibt damit dem Stück einen ganz eigenen, skurril-absurden Sound, der mal typisch wie Grönemeyers bekannte Songs klingt, mal wie ein klassischer Kabaretthit, wie Zirkusmusik oder Rap. Eine fast musicalmäßige Mixtur.

Ließ das Berliner Ensemble diese Mischung noch live von einer Formation spielen, kommt der Sound im MiR vom Band. Was die Regisseurin mit einem kleinen Kunstgriff liebevoll und augenzwinkernd aufs Korn nimmt. Wann immer einer der Songs erklingt, wird eine Suppendose auf der Bühne platziert, die zwar wie die bekannte „Campbell’s“ aussieht, hier aber steht „Herbert’s“ drauf. Griesbach grinst ob ihres Einfalls: „Bei uns kommt die Musik eben aus der Konserve.“

Nur eine der Puppen kann ihren Mund bewegen

Die Bühne von Sarah Wolters ist ein schriller, farbintensiver, weitgehend abstrakter Raum. Im Hintergrund wechseln je nach Szene Bilder von alten Gemälden, mal sind es prächtige höfische Adelsansichten, mal eine Landschaft von Caspar David Friedrich, dann wieder taucht ein poppiger Roy Lichtenstein auf.

Die Puppen, die sichtbar von den Spielern bewegt, gesprochen und gesungen werden, wirken wie ein elfenbeinfarbener, blasser Kontrast zum bunten Bühnenbild. Leonce und Lena sind zarte, kleine Wesen, die wie eine Feder durch den Raum zu schweben scheinen. Die Regisseurin erklärt: „Die beiden fliegen förmlich durch die Luft, was zeigt: Diese Figuren haben die Bodenhaftung verloren, sie sind nicht geerdet.“

Den Mund bewegen kann übrigens nur die Puppe des Dieners Valerio. Und auch das aus gutem Grunde: „Nur Valerio hat wirklich etwas zu sagen, er ist ein sympathischer Zweifler.“ Der Ausflug in die Welt von „Leonce und Lena“ dauert anderthalb pausenlose Stunden.

Termine und Karten

Die Premiere von „Leonce und Lena“ wird am Freitag, 7. Oktober, um 19.30 Uhr im Kleinen Haus des Musiktheaters gefeiert. Danach gibt es elf weitere Aufführungen.

Die Rollen übernimmt das Puppenspiel-Ensemble mit Merten Schroedter, Gloria Iberl-Thieme, Daniel Jeroma und Veronika Thieme.

Karten und Termine: 0209 4097200 oder www.musiktheater-im-revier.de.