Essen. Günter Lamprecht starb mit 92 Jahren – einer der größten deutschen Schauspieler der Nachkriegszeit, der seine Anfänge im Ruhrgebiet hatte.

Als „Proleten vom Dienst“ hat sich Günter Lamprecht hin und wieder mal selbst bezeichnet, aber er war im Grunde das genaue Gegenteil, ein durch und durch feiner Mensch. Und doch bekam er als Schauspieler vor allem in jungen Jahren nicht selten die Kraftkerl-, die Haudrauf-Rollen zugeteilt. Aber Günter Lamprecht machte in seinen Rollen noch aus jedem Typen ein Individuum. Halb näherte er sich denen an, die er verkörpern sollte, halb zog er sie zu sich hin – und in allen steckte immer ein großes Stück Lamprecht. Und mehr noch: Auf der Bühne, am Film-Set, im Fernsehen verwandelte sich dieser Mann, der so freimütig und offenherzig plaudern konnte, in menschliche Gebirge mit Abgründen, mit unausgeleuchteten, dunklen Stellen und nicht selten auch mit wie von ferne lauernder Urkraft.

Lamprecht lehrte uns damit auch, was für Menschen noch viel mehr als für Rollen gilt: Dass man niemanden je ganz kennen wird, dass da immer ein Stück Seele und Ich-Geschichte bleibt, auch jenseits der Rollen im Alltag. Alle seine Figuren, und noch die kaputtesten, desillusioniertesten, hatten eine innere Spannung, wegen der allein man ihnen so gern zusah, ihnen und dem Günter Lamprecht darin.

Die Nachkriegszeit überlebte er in einer Jugendbande

Schon seine Jugend hätte Stoff für einen eigenen Film gegeben: Der Taxifahrersohn vom Jahrgang 1930, dessen Zunge zeitlebens die Berliner Kindheit nicht verleugnen konnte, wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs um ein Haar mit 15 als Hitlerjunge im aussichtslosen Kampf um Berlin verheizt. Die Nachkriegszeit überlebte er in einer Jugendbande, von der er später sagte: „Wir haben geklaut wie die Raben“. Dachdeckerlehre abgebrochen, Orthopädiemechaniker dann doch geworden – und nach Gesangs-Auftritten in der Jazz-Bar „Badewanne“ bekam er ein Stipendium an der Max-Reinhardt-Schule.

Das erste feste Engagement bekam er 1955 am Schauspielhaus Bochum, und als er vier Jahre später an eine kleinere Bühne wechselte, rümpfte der dortige Intendant Hans Schalla die Nase: „Oberhäuschen“. Aber die zwei Jahre in Oberhausen haben Lamprecht tief geprägt, hier lernte er seine zweite Frau Gisela Zülch kennen. Und immer wieder schwärmte er auch später von den Menschen der Stadt, die ihm rasch ans Herz gewachsen waren: „Hier ist alles sinnlicher, hier ist es menschlicher, hier fühlen sich nicht alle zu Höherem geboren,“ lobte er noch 2007 im zweiten Teil seiner Erinnerungen („Ein höllisches Ding, das Leben“). Und antwortete auf die Frage, warum er eigentlich Rösberg bei Bonn zu seiner Wahlheimat gemacht habe, statt in Berlin zu wohnen, dass sein Hauptarbeitgeber der WDR sei – und es nahe am Ruhrgebiet liege, wo er oft unterwegs war.

Günter Lamprecht spielte weit über 150 Rollen

Die 70er-Jahre brachten erste Fernsehrollen für Lamprecht, in der „Stellenweise Glatteis“-Verfilmung nach Max von der Grün bekam er die Hauptrolle, später bewährte er sich in der „Großen Flatter“, dem Dreiteiler nach dem Roman von Leonie Ossowski. Und sofort muss aufgefallen sein, das dieser Instinkt-Schauspieler wie kaum einer sonst im Film, ja sogar im Fernsehen mit derselben Intensität ausgestattet war wie auf der Schauspiel-Rampe, in weit über 150 Rollen, auf die er am Ende zurückblicken konnte.

Kein Wunder also, dass ihn dann der Instinkt-Regisseur Rainer Werner Fassbinder für seine „Ehe der Maria Braun“ an Land zog, bevor er ihm den schwierigen Franz Biberkopf aus Döblins Jahrhundertroma „Berlin Alexanderplatz“ anvertraute. In der damals als „viel zu dunkel“ benörgelten TV-Verfilmung war es Lamprecht, der aus dem Proleten sogar noch mehr machte als der Roman – in dem Dunkel leuchteten die dunklen Seiten dieses Sozialcharakters. Mit dem Sender Freies Berlin ließ sich Lamprecht dann den Tatort-Kommissar Franz Markowitz auf den Leib schreiben. Seit den 90er-Jahren wurden seine Auftritte weniger, er lehnte viele Rollenangebote als „Schrott“ ab, die Verflachung auch in den öffentlich-rechtlichen Programmen sah er mit Argwohn.

„Taxi nach Leipzig“, „Babylon Berlin“ und „Meeresleuchten“

1999 geriet er noch einmal ins grelle Licht der Öffentlichkeit, als er und seine Frau Claudia Amm per Zufall in den Kugelhagel eines 16-jährigen Amokläufers gerieten und schwer traumatisiert überlebten. Seine letzten Fernsehauftritte im Jubiläums-Tatort „Taxi nach Leipzig“, als Reichspräsident Hindenburg in „Babylon Berlin“ und in einer Nebenrolle des Dramas „Meeresleuchten“ gerieten noch einmal zu kleinen Festen der Schauspielkunst. Als Günter Lamprecht am vergangenen Dienstag in Bad Godesberg mit 92 Jahren starb, ging einer der größten deutschen Schauspieler der Nachkriegszeit. Seine Filme sind nun Denkmäler.

Stimmen aus Nordrhein-Westfalen

WDR-Intendant Tom Buhrow bezeichnete Lamprecht als „einen der größten Charakterdarsteller, die der deutsche Film hervorgebracht hat.“ Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) würdigte Lamprecht als „einen der größten seines Fachs“. Er hob Lamprechts Engagement für wohltätige und Umwelt-Organisationen hervor. Dafür hatte er NRW-Verdienstorden erhalten.