Im Kino geht es um einen von Netflix adaptierten Erich Maria Remarque, Michael „Bully“ Herbigs Medienschelte und Geschichten von Wein und Liebe.

„Im Westen nichts Neues“
Beim Angriff auf eine französische MG-Stellung stirbt ein deutscher Soldat im Kugelhagel. Sein Leichnam verschwindet im Massengrab, Uniform und Stiefel werden gereinigt und zur Zeugausgabe geschafft. In einer kleinen Stadt in Norddeutschland bekommt der frisch gemusterte Pennäler Paul Bäumer ebenjene Uniform und Stiefel ausgehändigt. Einige Wochen später finden er und vier weitere Mitschüler sich im Trommelfeuer an der Front wieder. Im Zuge des Stellungskampfes kommt einer nach dem anderen ums Leben. Nur Paul kann sich in den Herbstkämpfen 1918 immer noch behaupten.

Rund hundert Jahre später beginnen sich deutsche Filmemacher ihrer Großromane aus dem 20. Jahrhundert zu besinnen, und so gelangt nun auch Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ zu heimischer Verfilmung. Der Einstieg mit der Reise einer Uniform vom letzten zum neuen Träger hätte sich auch in Lewis Milestones Meisterwerk von 1930 gut gemacht.

Vergleichbare inszenatorische Finesse findet sich in Edward Bergers für Netflix realisierten Remake in der Folge nicht mehr. Wo sich Drama in tragischen Proportionen entfalten müsste, wird lediglich eine Materialschlacht entfesselt, in der Soldaten zerschossen, zersprengt, erstochen, erschlagen oder von Panzern zerquetscht werden. Dass keine Seite besser oder schlechter ist als die andere, führt immerhin die brutale Sinnlosigkeit des Stellungskriegs aus der Soldatenperspektive vor Augen. Tiefere Einblicke in das Warum ergeben sich daraus nicht.

Vermutlich deshalb schrieben Berger und zwei Co-Autoren eine Ebene hinzu, in der Daniel Brühl als Chefunterhändler Erzberger um einen Waffenstillstand ringt. Sekunden vor dem Ende aller Kämpfe stirbt an der Front noch ein Soldat. Damit ist der Film so weit weg vom Buch, dass selbst der Titel seinen Sinn verliert. Denn der Roman endet noch mitten im Krieg, an einem Tag, an dem der Heeresbericht sich nur auf einen Satz beschränkt. Aber genau den verloren die deutschen Filmemacher aus den Augen.

„Tausend Zeilen“: Elyas M’Barek als Juan Romero (l.) und Michael Ostrowski als sein Kollege Milo.
„Tausend Zeilen“: Elyas M’Barek als Juan Romero (l.) und Michael Ostrowski als sein Kollege Milo. © Warner Bros | Warner Bros

„Tausend Zeilen“
Für eine Reportage an der Grenze zwischen den USA und Mexiko soll der freie Journalist Juan Romero dem Starreporter Lars Bogenius zuliefern. Während dieser eine militante Bürgerwehr aufsucht, spricht er mit Flüchtlingen. Bald fallen ihm in dem Bericht Ungereimtheiten auf: Tatsächlich hat „der liebe Lars“, so der Spitzname des Kollegen, seine Interviewpartner nie getroffen. Romero beginnt zu recherchieren.

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Bei der Aufdeckung des Medienskandals, den Claas Relotius 2018 mit gefälschten Reportagen im „Spiegel“ auslöste, war Juan Moreno (so sein wirklicher Name) maßgeblich beteiligt. Sein Buch „Tausend Zeilen Lüge“ diente Michael „Bully“ Herbig nun als Vorlage für eine Parodie auf eine immer sensationslüsterne Medienwelt.

Denn beim Faktencheck der Zeitschrift „Chronik“ winkt man ab: „Arizona liegt in den USA und da ist die Grenze zu Mexiko.“ Also wo ist das Problem? Das sehen auch die Nachrichtenchefs (Michael Maertens, Jörg Hartmann) so; sie stehen vor einem Karrieresprung und brauchen die Schlagzeile.

Bitter ist das. Aber auch lustig, also bei Bully, der hier einmal mehr einen klugen kurzweiligen Unterhaltungsfilm vorlegt. Elyas M’Barek überzeugt als Einzelkämpfer Romero – Jonas Nay (Bogenius) ist der perfekte Wolf im Schafspelz.

„Da kommt noch was
Helga (Ulrike Willenbacher) steigt auf einen Hocker, rutscht ab und muss sich nun mit gebrochenem Fuß herumplagen. In dieser Lage trifft es sich gut, dass die neue polnische Putzkraft ihre Arbeit sorgfältig verrichtet. Dass Rychard (Zbigniew Zamachowski) ein Mann ist und besser Englisch als Deutsch spricht, spornt dann aber vor allem Helgas drei beste Freundinnen an.

Der Tratsch beim Kartenspiel im Garten ist auch schon das komödiantischste Element in dieser nach „Wanda, mein Wunder“ jüngsten Episode neureicher Vorstadtgeschichten mit Migrationsthematik. Die Marschlinie ist dabei fast deckungsgleich, wenn aufrechte polnische Arbeitskraft auf strukturellen Rassismus und andere Gelüste einer selbstgefälligen Bourgeoisie stößt. Subtil ist Mareille Kleins Blickwinkel ebenso wenig wie er zur Radikalität neigt. Was im Übrigen auch für die Bildgestaltung gilt: Breit im Rahmen, aber fürs Fernsehen alles schön in der Mitte drapiert. Es könnte ja was anecken sonst.

„Weinprobe für Anfänger“: Hortense (Isabelle Carré) hat im Weinladen von Jacques (Bernard Campan) nicht nur einen besonderen Wein gefunden.
„Weinprobe für Anfänger“: Hortense (Isabelle Carré) hat im Weinladen von Jacques (Bernard Campan) nicht nur einen besonderen Wein gefunden. © bertrand vacarisas | bertrand vacarisas

„Weinprobe für Anfänger“
Es ist keineswegs Liebe auf den ersten Blick, als Hortense den Weinladen von Jacques betritt. Sie ist Hebamme, wünscht sich nichts sehnlicher als ein eigenes Kind und ist dafür zu drastischer Maßnahme bereit. Jacques trägt schwer an einem Schicksalsschlag und sein Laden ist verschuldet, weshalb er für ein kommunales Zusatzgeld den Sozialfall Steve (ein Franko-Algerier!) als Praktikanten engagiert.

Ja, auch die Franzosen können ihren Filmen jede Menge Konfliktballast aufbürden. Schnell aber schwimmt sich diese auch für die Bühne erdachte Melokomödie in romantische Erzählwasser frei und bietet amüsante Kurzweil, ohne Figuren oder Konflikte auf die leichte Schulter zu nehmen. Hinzu kommt, dass Regisseur Ivan Calbérac seinen Stars vertraut.

Bernard Campan („Glück auf einer Skala von 1 bis 10“) bietet Haken und Ösen als schüchterner Mann mit Charme und dunklem Geheimnis. Die Attraktion aber ist Isabelle Carré, die den Film in ihrer Paradedisziplin als Mauerblume mit verstecktem Charme an sich reißt. Der Schluss an der Parkbank ist eine Delikatesse in großem Gefühl mit wenig Worten.