Mülheim/R. Herbert Knebels Affentheater feierte mit dem neuen Programm „Fahr zur Hölle, Baby!“ eine umjubelte Premiere in der Mülheimer Stadthalle.
Typen wie er dürften allmählich unter das Washingtoner Artenschutzabkommen fallen, so selten geworden sind sie im Ruhrgebiet 2.0: Herbert Knebel, der sich auf der Bühne schon seit Jahren von
der Parodie zum Original ausgewachsen hat, gehört schon zum Ruhrkulturerbe, irgendwo zwischen Adolf Tegtmeier und Atze Schröder. An diesem Wochenende aber hat er noch einmal den Absprung aus der Grubengold-Vitrine geschafft, mitten ins beherzte Bühnen- und Tourneeleben hinein, ausgerechnet unter der etwas aus dem blauen Himmelsdunst gegriffenen Devise „Fahr zur Hölle, Baby!“
Knebels Affentheater muss gar kein „drittes Standbein nebenher laufen“ haben, wie der Trainer (Detlef Hinze) seine „mobile Schnapsbude“ als Start-Up-Unternehmen umschreibt. Ruhris sind nun mal grundimmunisiert gegen Zeitgeist-Besoffenheit aller Art. Wenn Ozzy Ostermann als Smart-Home-Freak im Urlaub zu Hause die Rollladen hochfährt, lässt die sinnfreie Seite des Digitalfortschritts die Hosen runter. Und wo die Influencerin von „Senioren-Zweithaar“ schwadroniert, ist Klartext-Knebel schnell beim „Fiffi“. Zumal hinter dieser Influencerin Lola steckt, die einstige Sexbombe der Siedlung, die der junge Herbert seinem Blutdruck zuliebe verlassen musste. Und die beim unverhofften Wiedersehen stammelt: „Herbert, „Du hast dich seit damals ja gar nicht – umgezogen!“
„These Boots Are Made for Walkin’“, „Voulez vous manger avec moi?“
So sitzt das Affentheater wieder unter der Stehlampe, die uns aus den Vorläufer-Programmen ebenso vertraut ist wie aus Ommas Wohnzimmer: Nachhaltigkeit wurde im Revier schon gelebt, als sie noch „Bloß nix wegschmeißen“ hieß, wie auch an den Stühlen im orangefarbenen Schlafrock zu sehen ist.
Aber die ganze Nummernrevue mit Scherzen über gut abgehangene Weinbrand-Pralinen („Ou, edle Tropfen! Die haste Dir richtig wat kostn lassen – 12 Mark fuffzich!“), über Schönheit im Alter („Schau in sein Gesicht, Tränensäcke lügen nicht!“) oder ruhrgebietsspezifische Tempus-Formen („Der Sachverhalt is immer noch am sein dran“) wäre wohl nicht einmal halb so gut ohne die Hits mit Migrationshintergrund aus Knebels Jugend. Aus „These Boots Are Made for Walkin’“ wird „Der Kopf ist nur die Hülle“ über aktuelle Geistesvakuum-Phänomene wie Verschwörungsfantasien; durch die Einwechslung von „essen“ gegen „schlafen“ wird aus dem ehemaligen Anmach-Klassiker ein „Voulez vous manger avec moi“ als hochdifferenzierte Analyse der Veränderung von körperlichen Bedürfnissen in jenem Alter, mit dem Herbert Knebel zu Welt kam.
Joe Cocker und Tina Turner, „Oh Well!“, „Hells Bells“ und „My Way“
Und spätestens bei „Aber ich lass die Schuh an“, das doch sehr nach „You Can Leave Your Hat On“ klingt, wird deutlich, dass da Musiker mit Klasse am Werk sind, die Songs nicht nur kongenial ins Deutsche migrieren lassen, sondern sie auch voller Schmackes, Drive und Stimmigkeit durch die Lautsprecherboxen drücken. Dieser Witz mit einer dicken Prise Sentiment ist der wahre Herzensöffner des Affentheaters, ein Cocktail, der Herz und Zwerchfell zugleich erreicht und die Generation Boomer glücklich macht. Und musikalisch muss man festhalten, dass Georg Göbel-Jakobi als Ozzy Ostermann als Komiker vielleicht hier und da ein wenig überdreht – aber dafür eine Mörder-Steel-Guitar spielt und auch sonst auf den Saiten tanzt, dass man die Ohren anlegt, um den Hut zu ziehen: „Oh Well!“, „Let’s Stick Together“ und „Hells Bells“.
Uwe Lyko grandios als Imitator, Georg Göbel-Jakobi glänzt an den Gitarren
Herbert Knebels Cocker-Imitat durch Uwe Lyko ist so stil- und stimmfest wie seine Tina Turner („Yes, I am it!“). Da wollen wir uns auch mal nicht lächerlich darüber machen, dass es hier und da einen recht gewollten Übergang gibt und der Abend mit „Ich stink wie die Pest“ („Simply The Best“) in der Zugabe eine Mief-Schlagseite bekommt.
Zweieinhalb sehr erholsame Stunden Urlaub von Krieg und Klima enden dann mit Knebels Version von „My Way“ („Meinetwegen“) sogar hochphilosophisch: „die Existenz ist schon ein Rätsel. / Wo komm ich her? / Wo gehe ich hin? / Und wann kommt der Bus?“ Die stehenden Ovationen in der Haltestelle Mülheimer Stadthalle waren hochverdient.