Köln. Missbrauchsvorwürfe gegen Arcade-Fire-Sänger Win Butler überschatten die Tour zum aktuellen Album „We“. 5000 Fans feierten sie trotzdem in Köln.

Ende August veröffentlichte das Online-Musikportal Pitchfork einen Artikel, in dem Win Butler, dem Sänger der hoch gelobten kanadischen Indie-Rockband Arcade Fire, von vier Menschen „sexuelles Fehlverhalten“ vorgeworfen wurde. Der heute 42-Jährige gab zu, sexuelle Kontakte zu den Betroffenen gehabt zu haben, sie seien aber einvernehmlich gewesen. Ehefrau und Bandkollegin Régine Chassagne versicherte in einem Statement, ihr Mann habe niemals eine Frau gegen ihren Willen berührt und würde das auch niemals tun. Und verzieh ihm: „He lost his way, but he has found his way back.”

Davon ist die Tour zum aktuellen Album „We“ überschattet, das wissen auch die rund 5000 Fans, die Mittwochabend dabei sind, wenn Arcade Fire Station in der Kölner Arena machen. Leslie Feist, die das Vorprogramm bestreiten sollte, schmiss kurz nach Auftakt der Tour die Brocken hin. Sie könne den durch Win Butler „entstandenen Schaden“ weder verteidigen, noch ignorieren, gab sie bekannt. Sie wolle aber auch nicht dessen Richterin sein. Offiziell angeklagt wurde Butler bislang nicht (Stand: Donnerstag, 15. September 2022).

Arcade Fire: Win Butler ließ sich nichts anmerken, sagte nichts

Ob sich ein Teil der Arcade-Fire-Fangemeinde davon abschrecken ließ, bleibt angesichts der eher geringen Besucherzahl Spekulation. Aber die Anschuldigungen stehen mit auf der Bühne. Und die Neigung, Dinge interpretieren zu wollen, lässt sich, trotz aller Bemühungen, das nicht zu tun, nur schlecht unterdrücken.

Win Butler hätte das ganz einfach aus dem Weg räumen können. Indem er sich, öffentlich, auf einer Bühne, vor seinen Fans, zu den Vorwürfen, und zu seinem Verhalten, geäußert hätte. Und darüber, wie er sich bei all dem fühlt. Aber das tut er nicht. Unterm Strich bleibt ein Konzert, das von denen, die da sind, frenetisch gefeiert wird. Ob das ohnehin der Fall gewesen wäre oder ob das einem Statement pro Butler gleichkommt? Spekulation.

„Wake Up“, „Sprawl II“, „Everything Now“, aber kein „End of the Empire“

Die Kölner Show ist eine, die mit 19 Stücken von allen sechs zwischen 2004 und 2022 erschienenen Studioalben aufwartet. Aber früher und anders endet als vorherige Gastspiele. Statt des üblichen Zugabenteils werden die letzten beiden Stücke „Sprawl II (Mountains Beyond Mountains“) und „Everything Now“ separiert. Das mitreißende „Wake Up“ wird nach vorn verlagert, auf „End of the Empire I-III“ und „Empire IV (Sagittarius A*)“ hofft man vergebens.

Lediglich ein Schriftzug in blauem Neon, der an der Mittelbühne angebracht ist, erinnert an die endzeitliche Depri-Dichtung, in der sich Abschiedsmetaphern nur so häufen. Aber darin geht es um Amerika. In gigantischer Vergrößerung dominiert die Iris mit der leeren, nachtschwarzen Pupillenhöhle, die das Cover von „We“ schmückt, das Bühnenbild. Mal füllt sie sich mit Wolken, mal zerschmilzt sie wie flüssiges Metall, fächert sich auf zu Lamellen, die so plastisch wirken wie aus Pappkarton geformt. Die Light- und Lasershow ist gigantisch und absolut sehenswert.

Immer wieder an Win Butlers Seite: Régine Chassagne

Stimmlich unangefochten von all dem, was ihn derzeit umtost, bestreitet der 1,94 Meter große Hüne Butler das Programm. Auch aufs Bad in der Menge verzichtet er nicht. Immer wieder an seiner Seite: Régine Chassagne. Dem Ehepaar muss klar sein, dass es mit Argusaugen betrachtet wird. Nach der Devise „The Show must go on“ ziehen sie’s durch. Samt Band, mal auf der Zentrums- und mal auf einer Mittelbühne. Die Gänge zurück gleichen einer Nachtwanderung. Irgendwo, ganz vorne, ist ein Licht. Ringsherum herrscht Dunkelheit.