Essen. . Disco-Zitate in der ironiefreien Zone: Auf „Everything Now“, der neuen Platte von Arcade Fire, will sich die Band noch einmal ganz neu erfinden.

Im Popgeschäft zählt es gewiss zu den Tugenden, stets seine Grenzen auszutesten, mit bisher unbenutzten Stilen zu spielen und damit etwas unerwartet Frisches zu produzieren. Madonna hat sich so ein paar Mal neu erfunden. Und David Bowie hat es zig Male geschafft. Er nahm einst die kanadische Indieband Arcade Fire unter seine Fittiche, weil er sie nicht ganz zu Unrecht so originell fand.

Diese Originalität haben Arcade Fire auf den ersten beiden Alben zu einem Stil entwickelt, bevor sie dessen müde wurden und versuchten, sich behutsam neu zu erfinden. Auf dem jetzt erscheinenden Album „Everything Now“ nun will die sechsköpfige Band sich aber noch einmal komplett neu erfinden. Das gelingt auch. Ob man den gewählten Weg aber gut finden soll, darüber kann man streiten.

Eine Hymne im vollen Cinemascope-Format

Schon der Vorbote des Albums, der Titelsong „Everything Now“, entpuppte sich als eine Hymne im vollen Cinemascope-Format – mit der vollen Dröhnung eines künstlich-kitschig klingenden Abba-Pianos. Die dabei zur Schau getragene Fröhlichkeit steht in hartem Kontrast zu jener Getragenheit, durch die sich das Debüt „Funeral“ oder sein Durchstarter-Nachfolger „Neon Bible“ auszeichneten.

Natürlich haben sich Arcade Fire nie an den Gitarren festgeklammert, haben ihre Songs mit Akkordeons, Orgeln und Glockenspielen orchestriert. Und insofern sind sie sich treu geblieben. Nur klingt ihr neuer Sound so, als hätten sie sich für ein paar Wochen in einem Stapel 70er-Jahre-Flohmarktplatten vergraben – und hätten hinterher mit einem „Heureka!“ auf den Lippen ihre Nasen wieder ans Tageslicht gesteckt.

Discoatmo und Funk-Style

Während „Everything Now“ eine 70er-Jahre-Discoatmo ausstrahlt, schwenkt die Band danach mit „Signs Of Life“ in einen Funk-Style. Mit „Electric Blue“ bleiben sie den billigeren Sounds des Schlaghosenjahrzehnts treu, allerdings hat man solchen Dance-Sound schon besser von MGMT gehört.

Manchmal streifen Arcade Fire mit ihren Songs gesellschaftliche Probleme, in „Creature Comfort“ etwa jugendliche Verhaltensstörungen, die darauf abzielen, wahrgenommen zu werden. Oder mit dem punkig-peitschenden „Infinite Content“ das Phänomen der theoretisch unbegrenzten Information, das perfekt dazu geeignet ist, uns zu überfordern.

Alles auf einmal

Leider wirkt „Everything Now“ dabei genau, wie der Titel es verheißt: Es liefert alles. Sofort. Oder besser: Alles auf einmal. Ein krauses Sammelsurium von Stilen, meist im Ton gewaltiger Hymnenhaftigkeit und mit einer Glasur von Plastikpop vorgetragen. Zumindest Letzteres wirkt, weil es bei den Indie-Musikern von Arcade Fire ja eher als Zitat verwendet wird, gleich doppelt schal.

Was alles nicht heißt, dass das Album ganz missraten ist. Aber im Kanon der bisherigen Scheiben rangiert es weit hinten.

Arcade Fire: Everything Now (Sony Columbia)