Duisburg. Mette Ingvartsen zeigt für die Ruhrtriennale in der Duisburger Gebläsehalle den Ausweg aus gymnastischem Hochleistungs-Sex: Anarchie im Tanzsaal.
In „to tome (extended)“, einer Choreografie der dänischen Performancekünstlerin Mette Ingvartsen, die zur Zeit im Rahmen der Ruhrtriennale in der Duisburger Gebläsehalle zu sehen ist, „experimentieren“ – so heißt es im Programm – „15 Tänzer:innen mit kollektiven Formen der Lust und befragen sie auf ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen hin“.
Das tun sie dann tatsächlich mit größter Akribie, in einer geradezu klinisch anmutenden Versuchsanordnung in türkisfarbenen Ganzkörpertrikots auf blendendweißer Bühne. Die gesichtslosen Körper finden sich dabei zu immer neuen Konstellationen und Verschränkungen, erstarren zu Skulpturen – bis sich einzelne aus den Arrangements lösen, um zu neuen Gruppenbildern zu verschmelzen.
Mette Ingvartsen lässt keine Tabus im kompletten Katalog der sexuellen Spielarten zu
Tabus gibt es dabei keine, hier wird der komplette Katalog der sexuellen Spielarten vorgestellt. Dennoch bleibt das Geschehen merkwürdig steril, nicht zuletzt, weil sich alles in vollkommener Stille vollzieht. Die verrichtungstypischen Geräusche werden erst hinterher in Form eines synchronen Stöhnchors nachgeliefert. Ingvartsen zeigt hier eine entfremdete Sexualität. Sie entlarvt, durchaus maliziös aber nicht ohne Humor, wie die vermeintlich unbegrenzte individuelle Freiheit längst den Normen und Gesetzen einer übermächtigen Industrie unterworfen ist und zeigt dabei schonungslos, wie sehr Transgression ohne Transzendenz, also Überschreitung ohne Sinn und Sinnlichkeit auf Dauer ermüdet.
Nicht ohne abschließend einen Ausweg aus dem konditionierten Elend anzubieten: Anarchie im Tanzsaal!Zur legendär entfesselten Langversion von Benny Goodmans „Sing, Sing, Sing“ hüpfen die Tänzer nun ausgelassen den „Lindy Hop“, einen bewegungsfrohen Gesellschaftstanz, der in den späten 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der afroamerikanischen Tanzszene New Yorks populär wurde. Dass sie sich dabei (bis auf die Tanzschuhe) splitternackt und mit anarchisch wuchernder Körperbehaarung präsentieren, erscheint da nur folgerichtig.
Kurzer, aber heftiger Applaus für eine in mehrfacher Hinsicht überraschende Vorstellung.
Weitere Vorstellungen: 13. und 14. September. Landschaftspark Duisburg-Nord, Emscherstr. 71, 47137 Duisburg; Karten ab 17 Euro unter https://tickets.ruhrtriennale.de/