Bochum. Johan Simons bereitet die „Alkestis“ des Euripides überraschend fröhlich, gewitzt und kurzweilig fürs Bochumer Schauspielhaus auf.

Eine Schnulze zur rechten Zeit hat schon manchem Theaterabend auf die Sprünge geholfen, doch nur selten wurde sie so ironisch und passgenau eingesetzt wie hier: „Ich liiieeebe das Leben!“ trällert Vicky Leandros über die Lautsprecher, während die todgeweihte Alkestis der formidablen Anne Rietmeijer zu diesem schönen Liedchen ihren letzten Weg antritt: fröhlich Sirtaki tanzend statt gebeugt im Schmerz. „Nein, sorg dich nicht um mich…“

Es sind überraschend schwungvolle Noten, die Intendant Johan Simons seinem Publikum zum Spielzeitauftakt im Bochumer Schauspielhaus zugesteht. Aus Euripides‘ über 2400 Jahre alter Tragödie „Alkestis“ schält er ungeahnte Komik. Die formale Strenge und die bleischweren Bühnenbilder, die zum Verdruss einiger Bochumer Theatergänger viele seiner vorherigen Arbeiten bestimmten, weichen diesmal einer fast schon hippen Fröhlichkeit. So gewitzt und kurzweilig hat der Hausherr lange nicht inszeniert. Heureka, er schenkt uns sogar zwei Popsongs!

Anne Rietmeijer, Steven Scharf, Pierre Bokma und Stefan Hunstein

Das mag auch daran liegen, dass die „Alkestis“ ihre erste Premiere vor zwei Monaten vor einem weitaus unberechenbareren Publikum erlebte: vor jeweils 3500 Griechen an zwei Abenden im Amphitheater von Epidaurus nahe Athen. Um dort zu bestehen, sollte man besser klotzen, und entsprechend laut, grell und überlebensgroß wird an diesem Abend alles ausgestellt: die Gefühle der Protagonisten ebenso wie die bunten Flower-Power-Kostüme und die wirklich schönen Kulissen von Johannes Schütz, die einen abgetakelten Campingplatz zeigen.

Bei aller neu entdeckten Lust am Jux: Die Inszenierung ist genau gearbeitet, die Figurenführung exzellent. Zwar glaubt man bisweilen, dass die wundersame Geschichte um einen fragwürdigen Deal mit dem Tod niemand auf der Bühne so ganz für voll nimmt, und doch ist das antike Spiel ein bis heute gültiges Beispiel dafür, wie eng Liebe und Eigennutz beieinander liegen können.

Zwischen Dosen-Ravioli und Plastikstühlen, Beach Boys und Lee Hazlewood

Mit durchdringender Stimme und schulterlangem Haar gibt Steven Scharf den Admetos als Herrscher seines eigenen kleinen Campingwagens, der zwischen Dosen-Ravioli und Plastikstühlen lieber seine geliebte Frau Alkestis in den Tod schickt, um nicht selbst in den Hades gehen zu müssen. Stoisch bis ins Mark, fängt er erst in Gegenwart von Herakles (wunderbar von Pierre Bokma als Wandersmann gespielt) plötzlich an zu jammern, was ironischerweise dazu führt, dass beim Zusehen sogar ein wenig Mitgefühl mit diesem verschlagenen Mistkerl aufkommt. Zu einem Höhepunkt des Abends gerät Admetos‘ Rededuell mit seinem Vater (Stefan Hunstein), in dessen Gegenwart er jeden Anstand fahren lässt.

Einige Sorgfalt verwendet Simons auf den Einsatz der Musik: Wohlgewählte Songs von den Beach Boys und Lee Hazlewood gehen einher mit einem vierstimmigen Chor junger Frauen, der das Spiel zu Orgelklängen live auf der Bühne gekonnt begleitet. Das Publikum im gut besuchten Haus spendet begeisterten Beifall.