Dortmund. Beglücktes Publikum, aber kleine Einwände müssen erlaubt sein. Dortmunds neue „Zauberflöte“ kommt über schöne Bilder zu selten hinaus.
„Weil ein Schwarzer hässlich ist“, begründete der Mohr Monostatos rund 230 Jahre lang in Mozarts „Zauberflöte“ den ihm widerfahrenen Mangel an menschlicher Zuwendung. Das hat nun ein Ende. „Weil kein Mensch mag mein Gesicht“ reimt (etwas hilflos, aber politisch eine Idee korrekter) sich das 2022 zusammen. Ist das besser? Es wechselt ja bloß die Tonart: Nun werden die Hässlichen diskriminiert – zu hören in Dortmunds Oper am Samstag. Sie eröffnete mit dem Repertoire-Knüller die Saison.
Das Schwarz-Weiß-Denken hat diesen Publikumsliebling ja schon lange verlassen. Gut gegen Böse, wenn das so einfach wäre. Für wen und was, für welche Ideale und gegen welche Feindeslager Prinz Tamino und die Königstochter Pamina kämpfen – am Ende läuft es schlicht auf Liebe und Menschlichkeit hinaus. Was ist dagegen schon Macht? Da ist es nur schlüssig, dass am Ende die personifizierten Lager Sarastro/Königin der Nacht als luftleere Hülsen von den Ihren zu Boden geworfen werden.
Dortmunds neue „Zauberflöte“ setzt auch auf Puppen auf der Bühne
Technisch ist das kein Problem, beide waren bloß lebensgroße Puppen, von Sängern und Puppenspielern geführt – typisch für die Handschrift des Regisseurs und Puppenspielers Nikolaus Habjan. Ein Effekt, den man hier als Verneigung vor dem Märchen sehen kann, aber er birgt Defizite. Die Sänger, mithin ja nicht nur Personen sondern Persönlichkeiten, verschwinden hinter starren Visagen und ihren klappenden Mäulern.
Der Abend fährt viel Witz auf, manch erwartbarer ist darunter. Aber es gibt auch kleine Überraschungen: Dass die Welt des Fürsten Sarastro längst nichts Hohepriesterliches mehr umweht, zeigt nicht nur dessen Auftritt als parkinsongeschwächter Autokrat in einer an Orwell erinnernden Welt des Personenkults. Längst zweifeln (bei Habjan) auch Sarastros Anhänger am System, leisten sich Albernheiten, diewie Ventile gegen ein starres Regime erscheinen.
Befeuertes Ensemble, aber tiefer gehende Figurenzeichnung gibt es kaum
Gegen die Durststrecken, die „Die Zauberflöte“ mit ihrer bald Wagnerschen Länge hat, kommt Habjan nicht pausenlos an. Aber er befeuert sein Ensemble szenisch doch nach Kräften, mitunter rutscht das ins Parodistische. So aufgekratzt-keifig sah man die „Drei Damen“ der sternflammenden Königin selten: das reine Xanthippen-Geschwader, während die drei cleveren Knaben (Solisten der Chorakademie Dortmund) den charmanten Witz früh vergreister Dreikäsehochs atmen. Und wie alle Welt liebt auch Regisseur Habjan den Vogelfänger Papageno: Morgan Moody feiert in der Rolle ein vor lauter Jux ganz besoffenes Darstellerfest.
Tiefer gehende Figurenporträts bleiben freilich auf der Strecke, vieles ist schlicht hübsch bebildert (Bühne/Video: Jakob Brossmann, Manfred Rainer, Hannah Oellinger), beginnend bei mächtigen Baumstämmen, die das Naturmagische des Stoffes manifestieren, bis zu den hübschhässlichen Fabelwesen in Wolpertingergestalt, die erst Musik besänftigen kann.
Mal kreativ, mal Kunstgewerbe: Der Abend fällt gemischt aus
Die Puppen-Idee berührt mitunter das Kunstgewerbliche, andere Szenen (die Feuer- und Wasser-Probe der Liebenden) sind konventionell und mit zu wenig Fantasie gelöst. Das Publikum aber feierte einhellig jubelnd das Geschenk einer freundlichen, nahbaren Regiearbeit.
Unter den musikalischen Leistungen überragt die orchestrale allen anderen. Dortmunds Philharmoniker leben mit Motonori Kobayashi am Dirigentenpult auf extrem hohen Niveau das ganze Spektrum aus, das Mozart braucht. Da siedelt spirituelle Majestät neben komödiantischer Dynamik, das pastose Seelengemälde neben dem wuchtigen Pinselstrich des Wiener Volksstücks. Fantastisch!
Brillant auch die koloratursouveräne „Königin“ Antonia Veseninas, eher gewöhnungsbedürftig das wenig mädchenhafte Timbre von Tanja Christine Kuhn als Pamina. Imposante Kraft und lyrische Schönheit regieren den Tenor Sungho Kims. Freilich nimmt sein phonetisch unvollkommenes Deutsch (das von Denis Velevs Sarasto ist ebenfalls optimierbar) den für dieses Werk so wichtigen Spielszenen zentrale Qualitäten.
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DATEN UND TERMINE
„Die Zauberflöte“, Oper Dortmund. Dauer 3h 15 Min – eine Pause. Karten kosten 6 bis 42 Euro. Info-Telefon 0231-5027222. Details www.theaterdo.de
Nächste Termine: 18., 25., 28. September. Im Oktober am 1., 7., 9., und 30. Im November am 11., 19, und 27.