Dortmund. Bei der Dortmunder Opernsaison-Eröffnung dürfen zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ die Puppen tanzen. Alles nur, weil Corona Regie führt.
Die Dortmunder Oper startet, wie die meisten Häuser des Landes, überaus vorsichtig in die neue Saison. Zum Auftakt Mozarts „Entführung aus dem Serail“ zu stemmen, das klingt zwar nach großer Oper, doch die Regie führt auch hier vor, auf und hinter Bühne der Dämon der Pandemie. Gestrichen auf 75 pausenlose Minuten, ein dünn abgespecktes Orchester ohne Janitscharen-Geklingel, kein Chor, – und Solisten, die zwar wieder auf der Bühne stehen und singen, aber nicht spielen dürfen: keine guten Voraussetzungen für einen packenden Opernabend.
Um das Abstandsgebot nicht nur im Zuschauerraum und Orchestergraben, sondern auch auf der Bühne einhalten zu können, lässt man in Dortmund die Puppen tanzen, die die Darsteller aus Fleisch und Blut vertreten müssen. Dafür fertigten Nikolaus Habjan und Marianne Meinl sechs jeweils einen Meter große Tischfiguren an, die Habjan auch selbst führt. Dass die in den hinteren Reihen des riesigen Dortmunder Zuschauerraums kaum zu erkennen sind, wird durch großräumige Video-Projektionen aufgefangen, die offensichtlich vorproduziert wurden. Die Sänger müssen sich mit einem Plätzchen am Bühnenrand begnügen.
Wie ein Märchen aus 1001 Nacht
Unter diesen Voraussetzungen ist es sinnvoll, auch die Regie dem Puppenspieler zu überlassen. Und der zieht das Werk als Gute-Nacht-Geschichte für eine Klappmaulpuppe auf, die der Sesamstraße entsprungen sein könnte. Unter einem orientalischen, von Jakob Brossmann fantasievoll gestalteten Baldachin erzählt Habjan seinem kindlichen Kompagnon die Abenteuer Belmontes wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Das alles ist, wie auch die Kostüme von Denise Heschl, liebevoll ausgeführt und hat durchaus seinen Charme. Aber Puppen schaffen eine Distanz, die die Leidenschaften und tiefen Gefühle der von Mozart so menschlich geprägten Figuren kaum zur Geltung kommen lassen.
Zudem muss man empfindliche Striche in Kauf nehmen. Ganze Arien und Ensembles werden ausgelassen oder gekürzt. Das bekommt vor allem dem Finale schlecht. Der Wandel Bassa Selims vom liebeshungrigen Despoten zum großmütigen Wohltäter im Sinne der aufklärerischen Botschaft des Stücks wird geradezu übersprungen. Das Happy End wirkt wie angehängt und entsprechend banal. Dadurch reduziert sich das Stück auf den Gehalt einer reinen Piraten- und Entführungsgeschichte, was der Bedeutung des Werks bei weitem nicht gerecht werden kann.
Untertitel wären hilfreich
Auch wenn sich die Sänger über ihre ersten Auftritte vor leibhaftigem Publikum freuen dürften: Eine emotional anrührende Interaktion zwischen den Figuren ist unmöglich. Die Wärme und Intensität, die Mozarts Musik ausstrahlt, überträgt sich nur schemenhaft auf die Interpretation. Im Grunde verlassen die Sänger in diesem Umfeld ihre monatelange Isolation nur scheinbar, was natürlich jede zündende Wirkung unterbindet. Gleichwohl tun die fünf Solisten ihr Bestes: Sungho Kim gefällt mit seinem kultivierten Tenor als Belmonte, Irina Simmes bewältigt die knifflige „Martern“-Arie problemlos, Denis Velev versucht als Osmin ein wenig Leben in das Spiel zu bringen, muss aber noch deutlich an seiner Aussprache arbeiten. Fritz Steinbacher als Pedrillo und Sooyeon Lee als Blondchen ergänzen das Ensemble gleichwertig. Die Sprechrolle des Bassa Selim übernimmt Habjan selbst. Angesichts der teilweise sehr bescheidenen Textverständlichkeit wären Untertitel hilfreich, zumal die Produktion auch jüngere Besucher ansprechen will.
Der arg geschrumpften Besetzung der Dortmunder Philharmoniker fehlt es an Volumen und Kolorit, was Kapellmeister Motonori Kobayashi ebenso wenig mildern kann wie die emotionale Kühle der Produktion. Zu sehen ist ein fantasievolles Märchenstück, dem aber etliche Dimensionen für einen großen Opernabend fehlen.