Düsseldorf. Marathon für Reinhard Mucha: Die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf blickt in einer großen Überblicksausstellung auf das Werk des Künstlers.

Da stehen wir nun und staunen. Als da wären: 14 Aluminium-Leitern, 28 Stühle, 28 Leuchtstofflampen. Drahtseile, Klebeband, vier Filzläppchen, meterweise Elektrokabel samt Steckern und Kupplungen. Alles vereint zu einem bewegungslosen „Riesenrad“, ein spektakuläres Bauwerk. Fast acht Meter misst die Rauminstallation, ein wahres Theater der Dinge. Und während der Ausstellungsgast noch rätselt über das Zustandekommen einer derartig waghalsigen Konstruktion, ist man schon mittendrin in der wundersam-bombastischen Welt des Reinhard Mucha. Dabei ist der große Saal der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz nur ein Schauplatz der raumgreifenden Überblicksausstellung, mit der Düsseldorf den spröden Bildhauer unter dem Titel „Der Mucha. Ein Anfangsverdacht“ gebührend feiert.

In beiden Häusern des Landesmuseums dehnt sie sich aus, die Schau für den Düsseldorfer Künstler-Handwerker; während im K20 eine große Fläche für drei Rauminstallationen und mehrere vielteilige Werke entstand, wurde das zweite Obergeschoss in der Dependance K21 des Ständehauses so gut wie leergeräumt. Nun erwartet die Besucherinnen und Besucher dort ein Parcours aus 12 Räumen mit mehr als 60 ausgewählten Arbeiten aus über 40 Jahren Schaffenszeit.

Überblicksausstellung für Reinhard Mucha sei längst überfällig gewesen

Ein Mucha-Marathon also, der es dem Ausstellungsgast nicht leicht macht und das auch gar nicht will. Lässt er sich doch nur unter einigem Aufwand erwandern und erschließen. Eine Überblicksausstellung für den zweimaligen Documenta-Teilnehmer und wichtigsten Bildhauer der 80er-Jahre sei längst überfällig gewesen, hob Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer bei der Präsentation der Schau hervor – für sie ausdrücklich keine Retrospektive, da sich Muchas Objekte und Installationen je nach Ausstellungsort immer wieder veränderten. Dies habe auch gegen eine chronologische Anordnung gesprochen, fügte Kurator Falk Wolf hinzu. Nun also eröffnet ein wahrer Mammut-Rundgang mit Leihgaben aus aller Welt, um zu zeigen, dass „der Mucha“ nicht nur im historischen Kontext wirkt, sondern als relevanter zeitgenössischer Künstler.

Das „Riesenrad“ ist Teil der Installation „Das Figur-Grund Problem in der Architektur des Barock (für dich allein bleibt nur das Grab)“ (1985/2022).
Das „Riesenrad“ ist Teil der Installation „Das Figur-Grund Problem in der Architektur des Barock (für dich allein bleibt nur das Grab)“ (1985/2022). © muchaArchiv / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Reinhard Mucha, am 19. Februar 1950 in Düsseldorf geboren, lernte an der Kunstakademie bei Klaus Rinke. Schon als Student habe er die Möglichkeiten der Bildhauerei ausgelotet, indem er mit größter handwerklicher Präzision verschiedenste Materialien nutzte, hieß es bei der Präsentation. Das können Relikte der Industriegeschichte sein, in vielen Arbeiten spielt die Deutsche Bahn eine Rolle - das sind aber auch Möbel wie Schränke, Vitrinen, Stühle, Badezimmerkeramik und immer wieder Fußbänke. Teils stammten sie von Ausstellungsorten, teils aus eigenen Lebensräumen. Viele Arbeiten seien verknüpft mit den Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend in der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders.

Zum Auftakt: das „Deutschlandgerät“

Mit dem „Deutschlandgerät“, Teil der Dauerausstellung im K21, beginnt der Rundgang. Ein Koloss verschiedenster Bausteine ist da für den Deutschen Pavillon auf der 44. Biennale in Venedig 1990 entstanden, darunter Bodendielen aus dem Atelier des Künstlers, Travertinfliesen, große sperrige Wandvitrinen, Schaukästen und zahlreiche bespielte Videomonitore. Ein begehbares, dröhnendes, sich spiegelndes Ensemble – ein Kommentar zur deutschen Wiedervereinigung. Der Titel dieses ziemlich lauten Stilllebens bezieht sich auf ein Produkt der zum Hoesch Konzern gehörenden Maschinenfabrik Deutschland AG; mit der Spezialvorrichtung „Deutschlandgerät“ ließen sich entgleiste Züge hydraulisch wieder aufs Gleis stellen.

Bedeutend leiser, wenn auch nicht unbedingt geschmeidiger, kommen die anderen Räume daher. Unter dem Titel „Kopfdiktate“ sieht man schwere Bilderrahmen mit Kinderfotografien des Künstlers, die er mit Schulaufsätzen oder Strafarbeiten kombiniert hat („Ich darf in der Schule nicht schwätzen“). In Schaukästen stapeln sich als „Der Aufstieg“ Ausgaben der gleichnamigen Zeitschrift („Ansporn für Vorwärtsstrebende“). Wenig weiter staunt man erneut über das „Wirtschaftswunder“, diesmal bestehend aus einer Auswahl von Fotografien aus einem Werkkatalog der Schwerindustrie.

Ein ganz besonderer Wartesaal

Der „Frankfurter Block“ (2012/2014/ 2016), ein 13-teiliges Werkensemble.
Der „Frankfurter Block“ (2012/2014/ 2016), ein 13-teiliges Werkensemble. © muchaArchiv / VG Bild-Kunst, Bonn 2022 | Courtesy Sprüth Magers und Galerie Bärbel Grässlin,

Aber Mucha ist nicht nur ironischer Geschichtskonservator und -kommentator. Er kann auch ein Poet sein: Davon erzählen Installations-Elemente wie ein winzigkleiner Konzertflügel in einem alten Betonwaschbecken. Oder die Ballettschuhe seiner Tochter. Auch diese hat Mucha in einer Vitrine der Ewigkeit übereignet und erhält so die Vergangenheit am Leben.

Als weiteres Schlüsselwerk gilt sein „Wartesaal“, der seit der Documenta X 1997 nicht mehr öffentlich gezeigt worden ist. Elf Regale auf Rädern beherbergen 242 Tafeln, auf denen Mucha Namen von Bahnstationen mit je sechs Buchstaben verewigt hat. Vier Jahre, von 1979 bis 1982, hat er daran gearbeitet. Ein Erinnerungs- und Gedankenraum, hier für die wechselhafte Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte. Ein Ort des Übergangs. Und davon gibt es viele, in der Welt des Reinhard Mucha, der Verbindungen schafft zwischen alt und neu, Früher und Heute. So erhält er das, was einmal war, am Leben.

Die Ausstellung im Überblick

Die Ausstellung ist bis 22. Januar 2023 in der Kunstsammlung NRW zu sehen: im K20 (Grabbeplatz 5) und K21 (Ständehausstraße 1). Dienstags bis freitags 10 bis 18, samstags/sonntags 11 bis 18 Uhr. Mucha-Tickets kosten 12 Euro (ermäßigt 10). An jedem ersten Mittwoch ist KPMG-Kunstabend, heißt: Eintritt frei von 16 bis 22 Uhr.