Düsseldorf. Hito Steyerl ist die wichtigste deutsche Videokünstlerin. Eine Werkschau im K 21 in Düsseldorf zeigt jetzt Arbeiten aus über zwei Jahrzehnten.
Videokunst scheint das Genre zu sein, in dem der Puls der Zeit am besten zu spüren ist. Das beginnt etwa bei der schieren Überforderung, die unweigerlich entsteht, sobald man im K 21-Gebäude der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW den Souterrain betritt: Hier ringen fast 20 Bildschirm- und Sound-Installationen von Hito Steyerl neben-, mit- und gegeneinander um Aufmerksamkeit. Dabei braucht es genau die sehr, um unter und hinter die attraktive, mal grelle, mal dokumentarische Oberfläche dieser Arbeiten zu dringen, die Hito Steyerl zur aktuell wichtigsten deutschen Videokünstlerin mit weltweiter Ausstrahlung bis hin zur Biennale in Venedig gemacht haben.
Kunstsammlungs-Chefin Susanne Gaensheimer ist spürbar stolz auf diese erste große Überblicksausstellung zum Werk der 1966 in München geborenen Künstlerin, die Dokumentarfilmregie studierte, Assistentin bei Wim Wenders war und seit 2003 promovierte Philosophin ist. Die Erfahrung, dass der komplexen Wirklichkeit mit den herkömmlichen Mitteln des Dokumentarfilms nicht gerecht zu werden ist, brachte Hito Steyerl zur Kunst. Mit deren Hilfe hat sie seit den 90er-Jahren entscheidend mitgewirkt am „Documentary Turn“, der eine neues Verständnis brachte vom Zeigen dessen, was ist.
Mit Hammer und Meißel den Bildschirm bearbeitet
Eines der kompaktesten Beispiele dafür ist „Strike“, ein 28 Sekunden langes Video, in dem sie selbst mit Hammer und Meißel einen schwarzen Bildschirm bearbeitet – und es taucht ein abstraktes Bild auf, das die Machart der Pixel zeigt, aus denen sich jedes beliebige Bild zusammensetzen lässt – aber jetzt ja nur noch in der Phantasie, weil die Künstlerin das Gerät mit einem Schlag („Strike“) dazu gebracht hat zu streiken.
Die übrigen Werke der Ausstellung aber sind weitaus komplexer. Vor allem das neuste, das auf Anregung und auf Kosten der Bundes-Kulturstiftung entstand, die auch dafür sorgt, dass die Düsseldorfer Ausstellung im kommenden Jahr, leicht variiert, im Pariser Centre Pompidou zu sehen sein wird. „SocialSim“ erinnert mit absurd tanzenden Polizisten und Soldaten an Tanz-Manien des Hoch- und Spätmittelalters – zugleich sucht ein wegen Corona pausierender Fernsehkommissar (Mark Waschke vom „Tatort“) nach dem verschwundenen Gemälde „Salvator Mundi“, das jüngst für 400 Millionen Euro versteigert wurde.
Das K 21 kommt auch drin vor
Ursprünglich sollte das Werk vom Museum der sich selbst erzeugenden Kunstwerke handeln, weshalb wohl auch mit dem Dachgeschoss des K21-Gebäudes der Ort der Ausstellung drin vorkommt. Heraus kam aber ein komplexer, teils unterhaltsamer Beitrag zur aktuell Corona-geprägten Situation.
„The City of Broken Windows“ wiederum verfolgt die Theorie, dass durch ein oder wenige zerbrochene Fenster die Hemmschwelle schwindet, weitere Fenster zu zerstören und der Niedergang ganzer Stadtviertel beschleunigt wird. Hito Steyerl stellt zwei Videos einander gegenüber: In dem einen wird das Zerschlagen von Fenstern zur Grundlage für Künstliche Intelligenz, die Einbrüche erkennen soll (was in jeder Hinsicht Schwerstarbeit ist), das andere handelt von Menschen, die in New Jersey zerbrochene Fenster zur Not mit Fake-Fenstern aus Pappe ersetzen. Zitate an den Wänden, teils typisch fehlerhaft für Künstliche Intelligenz, spiegeln, dass Fenster die Grenze vom Innen zum Außen sind.
Alle Videos wären acht Stunden Programm
Allein diese beiden Videos dauern über eine Viertelstunde – weshalb Besucher gut daran tun werden, sich in dieser Ausstellung für einzelne Arbeiten zu entscheiden. Wer versucht, auch nur alle Video-Bilder zu sehen, hätte gut acht Stunden zu tun. Wer aber alles nur kurz ansieht, wird nirgends unter die Oberfläche dringen.