Essen. Auch Bach muss für den Ausnahme-Pianisten Víkingur Ólafsson klingen wie einer von uns. Der Isländer wird Residenzkünstler in Essen. Ein Gespräch.

Der Mann ist Exot wider Willen. Praktisch über Nacht staunte die Klassik-Welt über einen im fernen Island geborenen Musiker, der Bach und Mozart mit bannender Energie am Flügel ertönen ließ. Essens Philharmonie hat den international gefeierten Víkingur Ólafsson zum Residenzkünstler erkoren. Lars von der Gönna sprach mit ihm

Dass wir in diesem Plausch auf Island herumreiten, müssen Sie schon aushalten. Ihr Berliner Botschafter nennt sie schließlich mit Björk und Literatur-Nobelpreisträger Halldór Laxness „die bedeutendste kulturelle Visitenkarte“ Ihrer Heimat. Was steht denn bei Ihnen sonst noch drauf – außer „Pianist“?

Ólafsson: Also ich glaub’ schon, wir haben bei uns noch ein paar mehr vorzeigbare Leute, aber klar, ich freu mich, einer davon zu sein. Was bei mir draufsteht? Schwierige Frage! Hoffentlich, dass ich immer als Mensch erkennbar bin – und was ich empfinde in der Musik, die ich zu spielen ausgewählt habe. Meine Auswahl der Komponisten ist extrem persönlich motiviert.

Sie sind das eine, aber 300 Jahre alte Noten von Bach das andere. Wie findet man da zueinander?

Ich seh’ das als ein Treffen zwischen zwei kreativen Menschen. Klar ist Bach weit über mir, ein Gigant wie Shakespeare, der in jeder Epoche zu uns spricht. Und so wie moderne Inszenierungen uns staunen lassen über Zeitloses, suche ich auch bei Bach danach. Er ist minimal und maximal zugleich. Maximal in der Macht der Werke, ihrer genialen Architektur, aber zugleich gibt Bach nur ganz minimale Anweisungen, wie die Stücke zu spielen sind. Ich versuche diese Alte Musik zu spielen wie zeitgenössische. Am glücklichsten bin ich, wenn es klingt, als wäre die Tinte auf dem Notenpapier noch nicht mal ganz trocken!

Selbst Kennern sind Sie wie ein „Über-Nacht“-Star vorgekommen. Man kannte ihren Namen nicht, dann rief die Klassik-Szene plötzlich: „Hört Euch Víkingur an, Islands ersten Weltpianisten!“ Haben Sie das auch so erlebt?

„Plötzlich“ war das für Sie und tausende andere. Aber mich gab’s ja schon vorher (lacht). In Island war ich ein Star, hatte ein eigenes Fernsehformat, aber das Land ist halt sehr weit weg. So ein Vertrag mit „Deutsche Grammophon“ sorgt dann natürlich für einen anderen Aufschlag, aber ich war nicht unerfahren. Ich hatte etliche Konzerte in Island gespielt und auch in den kleinsten Orten immer so ehrgeizig, als wäre es die Carnegie Hall.

Sie sind „Juilliard“-Absolvent: Von einem Land mit vier Menschen pro Quadratkilometer ging es nach New York. War das ein Schock damals?

Mehrere! Gute und Schlimme. Schlimm war die Zeit: Als ich mit gerade mal 18 in Amerika ankam, lag der 11. September 2001 nicht weit zurück. Man ging davon aus, dass Terroranschläge nun an der Tagesordnung sein würden. Wir lernten im Konservatorium sogar von Polizisten, was man bei einem Anschlag im Konzert beachten muss. Der gute Schock war: Ich lernte dort – im Kreis der Besten – zu relativieren; ich war nicht der einzige tolle Pianist auf der Welt. Das war gut für mich, hat mir meine Schwächen und Stärken klar gemacht.

Was ist typisch isländisch an Ihnen?

Wir haben Erdbeben, Vulkane, einer ist erst neulich wieder hochgegangen. Man lernt, schnell auf Unerwartetes zu reagieren. Das andere ist: Wir sind wenige. Das prägt den Zusammenhalt, man braucht ihn einfach. Das hilft mir zum Beispiel beim Zusammenspiel mit Orchestern: Das Miteinander zählt!

Apropos Miteinander. Sie spielen vierhändig an der Seite Ihrer Frau. Wer hat am Klavier die Hosen an?

Sie ist schon taff (lacht). Aber im Ernst: Ich liebe meine Frau über alles. Und mit dem Menschen, den man am meisten liebt, Musik zu machen, ist das Schönste auf der Welt!

Karten fürs Antrittskonzert zu gewinnen

Ein Gipfeltreffen wird der Einstand Víkingur Ólafssons als Essener Residenzkünstler am 10. September. Der Pianist spielt Edvard Griegs berühmtes Klavierkonzert mit dem Amsterdamer Concertgebouworkest, ebenfalls aktuelle Residenzmusiker der Philharmonie. Das Orchester wiederum bringt seinen eigenen Residenzmusiker mit: Star-Klarinettist Martin Fröst. 3 x 2 Leserinnen und Leser können kostenlos dabei sein. Wer gewinnen will, ruft (bis einschließlich 31. August) an, 01378/ 78 76 18 (0,50 € / Anruf). Kaufkarten gibt es ab 30€ unter 0201-8122200.