BAYREUTH. Wenig Zeit, großer Erfolg. Bayreuths neuen „Tristan“ feiert das Publikum auf dem grünen Hügel wie einen Befreiungsschlag in Corona-Zeiten.
Die Begeisterung des Publikums nach der Eröffnungs-Premiere der 110. Bayreuther Festspiele war überwältigend. Nach unsicheren, von zuletzt über 80 Corona-Ausfällen erschütterten Wochen ging die Neuinszenierung der Liebes-Hymne „Tristan und Isolde“ zumindest für den Zuschauer reibungslos über die Bühne. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Denn die Produktion wurde äußerst kurzfristig angesetzt, um den eventuellen Ausfall einer der drei großen Choropern dieser Saison (Lohengrin, Holländer, Tannhäuser) abfedern zu können.
Regisseur Roland Schwab hatte nur zwei Monate für die Konzeption zur Verfügung und Dirigent Markus Poschner gerade einmal zwei Orchesterproben, um sich auf die besonderen akustischen Bedingungen des Festspielhauses einstellen zu können. Markus Poschner, Chef des „Bruckner Orchesters Linz“, fand sich erstaunlich gut zurecht im Orchestergraben. Was die Feinabstimmung in Sachen Klangmischung angeht, was die Entwicklung von großräumigen Steigerungen angeht, bedarf es zwar noch einiger Korrekturen. Insgesamt empfahl sich Poschner mit seinem Debüt als eine der zuverlässigsten Stützen der Neuproduktion. Zudem als ein Dirigent, der den Sängern aufmerksam zuhört und sie durchweg rücksichtsvoll unterstützt.
Bayreuths „kurzfristiger Tristan“ wird am Premierenabend einhellig gefeiert
Dass Catherine Forster und Stephen Gould in den Titelpartien permanent unter Hochdruck sangen, war also gar nicht nötig. Beiden ließ Poschner mehr Luft für feinere Nuancierungen als sie nutzten. Dass Gould trotz seiner Erfahrung und seiner beeindruckenden Kondition vor allem im dritten Akt an seine Grenzen stieß, verwundert nicht, stimmt aber bedenklich, da er in diesem Sommer auch noch den Tannhäuser und die Götterdämmerungs-Siegfried bewältigen soll. Vom vokalen Dauerdruck ließ sich auch Ekaterina Gubanova als Brangäne mit ihrer schönen Mezzo-Stimme beeinflussen. Selbst von ihr war, wie von den meisten ihrer Kollegen, kein Wort zu verstehen.
Angesichts der allgemein nachlassenden Textverständlichkeit sollte sich die Festspielleitung, wenn auch zum Graus beinharter Wagnerianer, endlich auf Übertitelungen einlassen. Ein Problem, mit dem Georg Zeppenfeld als König Marke allerdings nicht zu kämpfen hat. Zeppenfeld, in diesem Jahr gleich in vier Partien auf dem Grünen Hügel vertreten, bot wiederum ein Musterbeispiel an glasklarer Diktion und edelster Stimmkultur. Schade, dass Regisseur Roland Schwab an dieser Partie, wie auch an den anderen Nebenpartien, wenig Interesse zeigte. Denn er konzentrierte sich auf die „Weltflucht“ der Titelhelden, die auf dieser Welt nicht zusammenkommen können und offensichtlich auch nicht wollen.
Textverständlichkeit bei den Wagner-Festspielen lässt stark nach
Denn die Sehnsucht nach einem „einsamen Tod“ übersteigt in Schwabs Lesart das Verlangen nach einer erfüllten Liebe. Die verbotene Liebe der Beiden im politischen Umfeld als Affront des Vasallen Tristan gegen seinen König lässt Schwab, im Gegensatz zu Katharina Wagner in ihrer letzten Bayreuther Inszenierung, völlig unbeachtet. Da es für Schwab im „Tristan“ nichts „Eindeutiges“ gibt, bleibt vieles nebulös abstrakt und gibt dem Zuschauer Raum für Assoziationen aller Art.
Das gilt auch für das Bühnenbild von Piero Vinciguerra, der mit Schwab bereits in Dortmund Strawinskys „The Rake‘s Progress“ eindrucksvoll in Szene setzte. Eine arenenartige Scheibe im Mittelpunkt, überdacht von einer offenen, kreisförmigen Umrandung, wirkt wie ein Magnet auf die Titelhelden, wirbelnde Video-Einblendungen driften sie aber immer wieder auseinander. Die Nebenfiguren müssen sich meist mit der Brüstung des offenen Baldachins begnügen. Figuren, auf die Schwab eigentlich verzichten könnte. Warum sich die Bühne am Ende mit üppigem Grünzeug schmückt und ein altes Statistenpaar eng umschlungen an die Rampe tritt, darf jeder Betrachter selbst entschlüsseln.
Bayreuth: „Tristan“-Regisseur Schwab driftet ab in ein abstraktes Niemandsland
Auch wenn vieles im „Tristan“ mehrdeutig angelegt ist, droht Schwab mit seiner Lesart in ein zu abstraktes, beliebig deutbares Niemandsland zu driften. Vokal sind starke, aber nicht immer differenziert geführte Stimmen zu vermelden, betreut von einem einfühlsamen Dirigenten. Damit ist die Eröffnung ohne weitere Pannen gelungen. Die Nagelprobe, die Neuinszenierung des kompletten „Rings des Nibelungen“, steht aber noch bevor. Bis zur Premiere des „Rheingolds“ am Samstag bleibt das Festspielhaus den Proben vorbehalten.