Essen. Drei Stunden gebannte Stille im Parkett, dann lauter Jubel. In Essen feierte Samstag ein musikalisch wie szenisch grandioser „Otello“ Premiere.

Der Verdi-Bann am Aalto-Theater ist gebrochen. Nach glücklosen Jahren (manieriert der Macbeth, provinziell Troubadour und Rigoletto) hat das Aalto-Theater am Samstag einen ganz großen „Otello“ aus der Taufe gehoben.

Die Inszenierung hat Biss, Präzision, Tiefe. Essens Philharmoniker klingen auf der Höhe erster Opernadressen – und als Nikoloz Lagvilava (Jago) zum Schlussapplaus an die Rampe tritt, bricht tosender Jubel aus. Um es gleich zu sagen: Dieser Abend ist mit das Beste, was aktuell auf NRWs Opern-Bühnen zu sehen ist. Wer nicht hingeht, ist selber schuld.

Verdi-Bann im Aalto-Theater ist gebrochen - Otello ist ein ganz großer Wurf

Folklore Adé, dieser Abend tut weh: Renaissancehafte Etikette hat der Würgegriff des Krieges jenem Zypern, das des Feldherrn Otello Residenz ist, längst ausgetrieben. Auch die Frauen sind hier im Kampf: Waffen und Tarnanzug trägt hier jeder in einer Welt, die von Anfang an vergiftet ist durch Hass, Eifersucht, gekränkter Eitelkeit, kaputten Karrieren.

Es ist nicht neu, das der Autor der Tragödie Otellos den Namen Jago trägt. Regisseur Roland Schwab aber zeigt „seiner Mohrschaft Fähnrich“ von Beginn als eiskalten Souverän dieses Marionettentheaters mit Menschenopfern. Der versprüht zur Eröffnung mit der Nebelmaschine höchstselbst das schlechte Wetter gegen Otellos Flotte. Jago steht als Dirigent an der Rampe, wenn Verdi die tosenden Gewitterstürme loslässt.

Mit Nikoloz Lagvilava als Jago wird in „Otello“ brillanter Bariton gefeiert

Bravo Nikoloz Lagvilava! Seit Károly Szilágyi hatte Essen fürs italienische Fach keinen Bariton dieser Klasse im Ensemble. Brillant im Schurken-Porträt, das Lagvilava aus anarchischer Verworfenheit und dem süßen Gift der Lüge legiert. Elektrisierend im Gesang: Die tiefsten Töne im „Credo“ geraten Lagvilava schaurig-schön, und wen wundert, dass ein ganzer Hofstaat Jago auf den Leim geht, da das Böse mit solchem Balsam in der Intriganten-Kehle unterwegs ist?

Otello (ohnehin eher Maure als Mohr), der Desdemona liebt und durch Fallen zum Mörder aus Eifersucht wird, ist bei Roland Schwab kein Farbiger. Schwarz aber ist das kahle, spiegelglatte Parkett, das Piero Vinciguerra zum Zentrum seines kargen Bühnenbildes macht. Nicht Möbel sondern Menschen prägen die visuelle Dimension des Abends. Solche starken Tableaus – mal lemurenhafte Soldateska, mal Zitat aus dem faschistischen Italien – bildet der vorzügliche Aalto-Chor, der einzig zu Beginn mit der Orchester-Korrespondenz hadert. Von oben regieren Vinciguerras Bühne Jalousien. Vielgesichtigkeit schenkt dieser kühlen Büro-Requisite viele Abgründe: Jalousien bilden den Irrgarten, aus dem Otello nur als ehrloser Rächer wieder herausfindet. Jalousien lassen uns zehn Doppelgänger-Dämonen des Titelhelden erspähen, die das Gift des Misstrauens schon lange vor ihm zu Seelenkrüppeln missgebildet hat.

Und Jalousien sind es, die nach und nach unseren Ohren wie Messerstiche zusetzen, da Schwab sie in die Todesfuge der Kontrabässe des Finales hineinfahren lässt. Das Sterben übrigens ist in Essen ein Fall für zwei. Schwab streicht alles andere Personal von der Szene. Otello und Desdemona: Ein Opfer fordert ein Opfer – Pas de deux der Unentrinnbarkeit.

Essens Philharmoniker bieten im „Otello“ am Aalto-Theater ein Fest der Orchesterkultur

Wer die Klangkultur der Essener Philharmoniker unter dem Dirigat Matteo Beltramis preisen will, muss nur der „Weiden“-Arie lauschen: so subtil, so genau, so sensibel in Linien und Farben begleitet das Orchester. Gegen eine Prise mehr diabolischen Furor an anderen Stellen wäre freilich nichts auszusetzen.

Gabrielle Mouhlens Desdemona ist ein Gegenentwurf zum Bild vieler großer Interpretinnen der Partie. Sie, die Schwab selbstbewusst, doch mitunter etwas ziellos als sexy Braut agieren lässt, priorisiert mit ihrem etwas unruhigen Sopran: Dauer-Dramatik rangiert vor jener Piano-Raffinesse duldsamer Melancholie, die man bei ihr vermisst. Respekt vor Gaston Rivero, der vom Spinto-Könner nun vor das Monument von „Verdis Tristan“ tritt. Wo seinem Otello Volumen und Durchschlagskraft gegenüber dem Orchester fehlen, hält der Tenor mit nobler Phrasierung und lyrischem Gestus dagegen. Seine Studie eines Getriebenen ist schlüssig, eindringlich, anrührend.

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INFO ZU KARTEN UND TERMINEN

Verdi: Otello. Aalto-Theater Essen, drei Stunden, eine Pause. Nächste Termine im Februar: 8., 20., 27. Dann am 9. März und im April am 7. und 18. In dieser Spielzeit ist der „Otello“ bis Juni zu sehen,

Karten kosten zwischen 22 und 49 €. Verkauf unter 0201-8122200 oder www.theater-essen.de