Essen. Ein Coup von einem Bühnenbild: In Essen wird Puccinis Opern-Dreiteiler „Il Trittico“ mit visueller Wucht geflutet. Jubelnder Premieren-Beifall.

„Man kann ein Publikum nicht bitten, sich drei Opern anzuhören, von denen jede fast eine Stunde dauert. Mit den Pausen kommt man damit auf vier Stunden.“: Puccini über Puccini. Kann man doch, tun Opernhäuser seit 100 Jahren mit „Il Trittico“. Essens Publikum kam mit dreieinhalb davon, blieb und feierte den Abend im Aalto-Theater weitgehend enthusiastisch.

Wer dieses Triptychon nicht kennt: Puccinis Ohrwürmchen à la „E lucevan le stelle“ haben sich im subtilen Spätwerk weitgehend verkrochen. Das Ariose? Bis aufs „babbino caro“ perdü! Sensationell indes, was der alte Meister im Orchester entfacht. Puccini stößt Türen für die Zukunft der Musik auf. Wenn die gierige Sippe in der Erbschaftsklamotte „Gianni Schicchi“ lärmend zetert, ebnet das Schostakowitsch den Boden. Und von den feinsten Verästelungen musikalischer Milieumalerei des „Tabarro“ (Der Mantel) werden Filmkomponisten später dankbar Honig saugen. Essens Philharmoniker kosten das in der Bandbreite vom Schiffshorn zum impressionistisch parfümierten Weihwasser („Sour Angelica“) mitreißend aus. Mit Roberto Rizzi Brignoli schultern sie die wilden Wechsel aus Furor und Melancholie, comic-hafter Klangfolie und subtilster Farbgebung in Hingabe.

Premiere von Puccinis „Il Trittico“ wird vom Publikum gefeiert. Starkes Bühnenbild

Die drei Werke selbst? In den Stories angreifbar. „Tabarro“, eine Knall-Auf-Fall-Tragödie aus der Pariser Unterklasse. „Sour Angelica“: seifige Klerikal-Kolportage um den Freitod einer Nonne, die im alten Leben Mutter war. „Gianni Schicchi“: erwartbare Alberei um einen reichen Leichnam. Was tut ein Inszenierungsteam damit?

Es lässt vor allem ohne Abnutzung staunen über ein Bühnenbild (Piero Vinciguerra), das Puccini alle drei Stücke lang nah am Wasser baut. Das riesige Becken, durch das ein starkes Sänger-Ensemble knöchelhoch watet, ist im „Tabarro“ Ufer der Seine, später Angelicas vergoldeter Klosterbrunnen und im „Schicchi“ (eine wirklich charmante Idee) jener protzige Pool, an dessen Beckenrand ein millionenschwerer alter Knabe freiwillig das Leben aushaucht.

Puccini geflutet? Regisseur Roland Schwab nennt das „Seelengewässer“ und schenkt dem gefürchteten Dreiteiler nicht wenige packende, intensive und Sicht wie Einsicht schärfende Momente. Schwab trennt den Dreier nicht radikal. Alles hängt mit diesen um Tod kreisenden Stücken zusammen. So stehen nach Schlacht und Schlachten um verletzte Gefühle („Tabarro“) auch die Toten wieder auf, gehen in Frieden von der Bühne, da das nächste Stück beginnt und in „Suor Angelica“ nahtlos jene, die Bühne betreten, die dutzendfach den Schleier nehmen. Viele Assoziationen eröffnet der gewaltige Spiegel über allem, vom richtigen Fühlen im falschen Leben bis zum Sein als ewige Täuschung – überwältigend erst recht als sich öffnender Himmel, da auf Erden kein Heil ist.

Nicht alles glänzt bei Schwab: Mit Schwimmkerzen rutscht ihm bei „Angelica“ schlimm die Kitschhand aus. Und das ewige Plitschplatsch bei jeder Sängerbewegung nimmt dem „Tabarro“ mitunter die Tiefe. Aufs Ganze aber ein starker Abend. Und angesichts der Üppigkeit des Ensembles ein Kraftakt in Corona-Zeiten. Hut ab!

Nächste Termine: 30.1; 5., 13.3 und Karten: 0201-8122200

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GRANDIOSE SÄNGERLEISTUNGENPuccinis „Trittico“ am Aalto-Theater weist herausragende Interpreten auf. Überragend der zutiefst beseelte Sopran, mit dem Jessica Muirhead die „Angelica“ verkörpert. Im „Tabarro“ prunkt rasant im Furor und mit satter Tenor-Attacke Sergey Polyakovs Luigi. Heiko Trinsinger kostet als Schicchi den dreisten Strippenzieher extrem lustvoll aus. Kleine Rolle, große Stimme: Der wendige Bass von Christoph Seidl berechtigt zu den schönsten Hoffnungen.