Essen. Aktuelle Fotografie aus dem Ruhrgebiet von Heiko Tiemann aus dem Pixelprojekt Ruhrgebiet: jetzt auch analog auf Zeche Zollverein zu sehen.

Alex, der gern gut isst, guckt entschlossen, fast finster. Aber er steht dicht am lilafarbenen Vorhang, nach dem er greift, er sucht den Halt, den er vielleicht doch nicht hat, aber er scheint ganz Alex zu sein in diesem Moment, eine Persönlichkeit, von der man gern mehr wüsste, obwohl er gerade nicht unbedingt zu reden wollen scheint. Doch da ist so viel Leben in seinen Augen, so viel Erfahrung, die hart zu machen scheint und zugleich Sehnsucht keimen lässt.

Vielleicht sehen wir all das nur in Heiko Tiemanns Fotografie von Alex hinein, aber – wir sehen es. Zurzeit auch im Rundeindicker der Essener Welterbe-Zeche Zollverein, wo drei Serien des heute in Düsseldorf lebenden Fotografen ausgestellt sind, der sich, als er nach einem abgeschlossenen Psychologie-Studium die Zulassung für Kunst-Studiengänge in Bielefeld, Essen, Dortmund und Düsseldorf hatte, für die Fotografie an der Folkwang-Universität entschied. Heute, mit 54, blickt er begeistert auf die Zeit zurück, in der er als Jugendlicher aus Ostwestfalen nach Waltrop zog und, nach einem ersten Fremdeln, die Kultur- und Club-Szene im Revier erkundete.

Heiko Tiemann ist ausgebildet an der Folkwang-Uni

Hier fand er 1994 auch seine ersten Foto-Motive, die Serien „Prolog“ und „Geister“ entstanden in Altenheimen und Psychiatrien. „Geister“ besteht aus schwarzweißen Doppelbelichtungen mit mehr oder weniger zufälligen Motivkombinationen; „Geister“ wiederum fängt ihn fahlen Farben perfekt die Atmosphäre des Entwurzeltseins, des Unerlösten, der Trostbedürftigkeit in einem Altenheim ein, und sei’s in der einsamen Billig-Kitschvase mit Kunstblumen und einem Vögel­chen­imitat obendrauf. Das verwackelte Bild einer Schlafenden (oder Toten?) geht schmerzhaft nahe, so wie es viele Fotos von Heiko Tiemann tun. Die Serie „Zufügung“ schließlich entstand 2012 bis 2015 mit Duisburger Förderschülern.

Er arbeitet mit einer Groß- oder einer Mittelformatkamera und stöhnt leise darüber, dass die Filme inzwischen so teuer geworden sind, weil man sie manchmal sogar schon in den USA bestellen muss. Er wirkt sehr eins mit sich und seiner künstlerischen Arbeit, die er mit Lehr- und Projektaufträgen querfinanziert: „Wenn einer davon leben kann, ist er kein Künstler“, sagt er drastisch; auch wenn er Porträt-Aufträge annehme, sei er „kein kommerzieller Fotograf geworden“.

Dritte Ausstellung des PIxelprojekts Ruhrgebiet in der Welterbe-Zeche Zollverein

Thiemanns Ausstellung ist die dritte, die in Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Zollverein und dem digitalen „Pixelprojekt Ruhrgebiet“ als Podium für aktuelle Fotografie aus dem Ruhrgebiet entstand. Dort, im Internet, sind insgesamt fünf Serien von ihm zu sehen. Aber erst als Abzüge im großen Format erreichen diese Aufnahmen die Intensität, für die sie gedacht sind.

„Was bleibt – von den Menschen und ihren Orten?“ Fotografien von Heiko Tiemann. Bis 1. Oktober. Zeche Zollverein, Gelsenkirchener Str. 181, Essen. Rundeindicker. Tgl. 10-18 Uhr, Eintritt: 2 Euro.